"VOM ZEITGLEITER ZUM
RAUMGLEITER"
Mein Ansatz unterscheidet sich
im Zusammenhang mit der
Entwicklung der Raumstruktur
bzw. der Stadtentwicklung von
den herkömmlichen
Betrachtungs-weisen. Es gibt
mehrere Möglichkeiten unsere
Siedlungsstruktur zu gestalten.
Ein, heute häufig angewandtes,
Modell sieht so aus: Kleine
Städte werden vergrößert. Reicht
der Platz nicht mehr aus,
"verlängern" wir die Stadt in
die Umlandgebiete. Reicht auch
dieser Kreis nicht mehr aus,
ziehen wir einen neuen. Die
Menschen werden dann aus
geographisch entfernten Regionen
in diese Zentren geholt. Die
entleerten ländlichen Regionen
erhält man mit finanziellen
Mitteln irgendwie am Leben.
Meiner Meinung nach ist dieses
Konzept ein Unsinn. Man könnte
es auch anders machen. Auf der
Suche nach neuen Wegen zur
Stärkung dezentraler Strukturen
über Telekommunikation führte
mich mein Weg nach Den Haag.
Dort habe ich ein interessantes
Modell kennengelernt:
Im Verkehrsministerium der
Niederlande wurde eine Studie
über die künftige
Raumentwicklung aus
verkehrstechnischer Sicht
angestellt. Wer die Situation in
den Niederlanden kennt, weiß,
daß auf den Straßen in
absehbarer Zeit nicht Verkehr,
sondern Stau vorherrschen wird.
Basierend auf diesen
Überlegungen befaßte sich die
Studie mit alternativen Modellen
der Raumnutzung. Unter den
vielen geäußerten Ideen befand
sich der Vorschlag, dezentrale
Strukturen über
Telekommunikation zu nutzen.
Die Absicht erregte anfänglich
Widerspruch. Kritiker wendeten
ein, "derartige Projekte seien
unsinnig und könnten nicht
funktionieren, da sie nur eine
begrenzte Anzahl von Menschen
umfassen". Wie immer in solchen
Fällen sind
Pionierpersönlichkeiten
entscheidend. Einer derartigen
Pionierpersönlichkeit ist es zu
danken, daß das
Verkehrsministerium der
Niederlande, vor nunmehr nahezu
zwei Jahren, einen auf
freiwilliger Basis erfolgenden
Versuch eines "Raumgleiter-modells"
ausschrieb.
Dieses Modell sah vor, daß die
Mitarbeiter des
Verkehrsministeriums die
Möglichkeit erhalten sollten,
drei Tage pro Woche in ihrer
Heimatregion dezentral via
Telekommunikation und zwei Tage
in der Zentrale zu arbeiten.
Das Konzept wurde während des
gesamten Versuchszeitraumes
äußerst kritisch und distanziert
beobachtet. Der Erfolg war
durchschlagend. Nach einem Jahr,
mehrere Studien wurden
zwischenzeitlich darüber verfaßt,
wurde das experimentelle
Angebot, welches sich zunächst
auf 30 Personen konzentrierte,
von den zuständigen Stellen auf
das gesamte Ministerium
ausgedehnt. Andere Ministerien
haben dieses Modell für ihren
Bereich übernommen.
Das beste Beispiel für einen
"Raumgleiter" biete ich selbst.
Mein Büro in Wien befindet sich
200 Meter vom Ort dieser
Veranstaltung entfernt. Zuhause
bin ich in den Tiroler Bergen.
Wollten Sie mich im Winter
besuchen, wäre ich für Sie mit
dem Auto nicht zu erreichen,
außer mit einem Vierradantrieb.
Noch vor zehn Jahren war es für
mich unmöglich, in meinem Haus
zu arbeiten. Ich war unter
großem Zeit- und Finanzaufwand
gezwungen, ständig nach Wien zu
pendeln. Dies ist heute nur mehr
gelegentlich der Fall. Der Grund
ist einfach: Ich bin über eine
simple Telefonleitung mit einem
Modem ausgestattet und erledige
einen Großteil meiner Arbeiten
über Telekommunikation. Dies ist
ein Beispiel dafür, daß es
möglich ist, einerseits auf dem
Lande zu leben und andererseits
arbeits-mäßig mit der Stadt eng
verbunden zu sein.
Das Modell des Raumgleiters
stärkt das Wirtschaftspotential
in der Region und vermittelt
Zukunftsimpulse. Für die
Menschen im ländlichen Raum ist
dies sehr wichtig, denn sie
glauben oftmals nicht mehr an
die eigene Zukunft. Sie glauben,
alles müßte zentralisiert
werden.
Ich persönlich sehe mich halb
als Städter und halb als
Landmensch und bin überzeugt,
daß die Telekommunikation uns
neue Möglichkeiten in der
Raumnutzung eröffnet. Weniger
pendeln, mehr Freizeit, mehr
Zeit für die Familie, ein
geringerer Energieverbrauch,
eine vernünftige
Ressourcennutzung, weniger
Umweltbelastung, geringe
Mietkosten und eine Entflechtung
der Stadt, das sind Vorteile,
die mit diesem Modell verbunden
sind. In Alwin Tofflers
"Zukunftschance" habe ich vor
Jahren die Grundidee zu dieser
Konzeption entdeckt.
Fortan begab ich mich auf die
Suche nach Verbündeten. Ich fand
sie in der Schweiz, in
Deutschland, in den Niederlanden
und in Skandinavien. Auch
Österreich besitzt viele
Menschen, einige davon sind
anwesend, die ähnliche Modelle
gewagt haben. Vor zwei Jahren
starteten wir mit vier
Telehäusern: in Eschenau bei St.
Pölten, in Freistadt in
Oberösterreich, in Hartberg in
der Steiermark und in Dorfbeuern
bei Salzburg. Der Anfang war
schwierig. Der Großteil der von
uns angesprochenen Personen
glaubte schon vorher zu wissen,
daß "derartige Modelle nie
funktionieren könnten". Dazu ein
Beispiel aus der Schweiz:
In der Schweiz existiert ein
zentraler Telefonauskunftsdienst
mit der Nummer "111", der von
den Städten Bern, Zürich und
Basel bedient wird. Die Post
hatte Rekrutierungsprobleme und
hatte Menschen, die den Weg
einer weiteren Zentralisation
anzweifelten. Sie fragten sich,
ob nicht der Versuch einer
dezentralen Struktur am
konkreten Beispiel der
Telekommunikation erprobt werden
sollte.
Die erste Reaktion der Zentrale
in Bern bestand auch hier darin,
einen derartigen Versuch mangels
Durchführbarkeit vorerst
abzulehnen. Der zuständige
Regionaldirektor ließ sich aber
von seiner Idee nicht abbringen
und bestand auf einem
Modellversuch. Heute umfaßt sein
in Schiers, einem kleinen
Bergdorf in Graubünden,
eingerichteter Auskunftsdienst
50 Mitarbeiter. Für die Region
ist das ein wichtiger
Wirtschaftsimpuls und für die
Bevölkerung ein begehrter
Arbeitsplatz.
Ich möchte Sie aber auch mit
einigen kritischen
Gesichtspunkten vertraut machen.
Mit den Schwierigkeiten in
Österreich und mit der Frage,
warum hinter dieser Idee nicht
mehr "drive" und Elan steht.
Die "New York Times" widmete im
vergangenen Jahr einer
Kleinstadt im US-Bundesstaat
Colorado eine umfassende
Analyse. Brush City, 90 Meilen
von der Hauptstadt entfernt, mit
5.000 Einwohnern, liegt in einer
Gegend mit großen
wirtschaftlichen
Schwierigkeiten. Zur allgemeinen
Überraschung floriert Brush
City. Warum?
Abgesehen davon, daß sich Brush
City unter anderem auch der
Telekommunikation bedient, sind
zwei Dinge für den Erfolg
ausschlaggebend: Brush City
verfügt über risk-takers und
possibility-thinkers.
Dies führt mich zurück zu
unserer Situation in Österreich:
Wir haben zu wenig Personen, die
Phantasie und Risikobereitschaft
haben. Phantasie ist der erste
und wichtigste Produktionsfaktor
von morgen.
Meine zweite Erfahrung, warum in
Österreich derartige Modelle nur
schwer zu verwirklichen sind,
betrifft die Tarifpolitik der
Post. Die Tarifpolitik der Post
benachteiligt den ländlichen
Raum. Ich habe die
Postverantwortlichen vergeblich
ersucht, mir den Unterschied
zwischen Briefposttarif und
Fernmeldetarif zu erklären. Ein
Brief von Wien nach Preßbaum
kostet gleich viel wie ein Brief
von Wien nach Bregenz. Den
Unterschied zu den
Fernmeldetarifen merken sie an
der Telefonrechnung.
Die Tarifpolitik der Post in
Österreich ist das größte
Hindernis für die Umsetzung
einer Idee, deren Erfolg
nachweislich auf der Hand liegt.
Erst wenn die Ware "Information"
für alle Konsumenten zum
gleichen Preis erhältlich ist
und zu den gleichen Kosten
vertrieben werden kann, hat eine
dezentrale Betriebsstruktur eine
echte Chance.
Ein weiterer Punkt ist die
Erschließungspolitik. Heute ist
es für jedermann einsichtig, daß
leistungsfähige "Auto-Straßen"
eine wichtige Voraussetzung für
die Regionalentwicklung
darstellen.
"Tele-Straßen" werden in Zukunft
eine zumindest gleichrangige
Bedeutung erlangen.
Schließlich wird es notwendig
sein, die Regionalförderung zu
überdenken. Technologiezentren
dürfen nicht nur am Rande von
Ballungszentren unterstützt
werden. Die Tele-Idee muß auch
im ländlichen Raum eine Chance
erhalten.
Auch die Wissenschaft muß man
erwähnen. Ich mache der
Wissenschaft den Vorwurf, daß
man uns, anstatt Rückendeckung
und Rückenwind zu geben, ständig
nur mit Analysen und
Feststellungen konfrontiert, daß
derartige Modelle nicht
verwirklichbar sind und keine
Zukunft haben. Viele Beispiele
beweisen das Gegenteil.
Trotz aller Probleme bin ich
zuversichtlich. Ich orientiere
mich dabei an einer chinesischen
Spruchweisheit: "Wenn Du einen
Riesen siehst, so prüfe zunächst
am Stand der Sonne, ob es nicht
der Schatten eines Zwerges ist."
In vielen Fällen waren die
Riesen Zwerge.
|