TELEDIENSTE FÜR DEN MASSENMARKT
- LEBENSGESTALTUNG IM
ELEKTRONISCHEN RAUM
Die Lebensgestaltung oder, je
nach Sichtweise, die tägliche
Bewältigung des Lebens erfolgt
zunehmend mit Hilfe von
Telediensten. Entsprechende
Angebote existieren bereits für
sämtliche Bereiche. Im folgenden
werden Trends, Strategien und
Optionen der Entwicklung von
Telediensten skizziert. Im
Zentrum der Analyse stehen jene
Dienstkategorien, die auch oder
spezifisch von Privathaushalten
genutzt werden, also Teledienste
die für den Massenmarkt bestimmt
sind. Die wirtschaftlichen und
politischen Interessen an der
besseren Einbindung der
Privathaushalte im
elektronischen Markt sind daher
sehr hoch.
1. DIE
TELEDIENSTPALETTE
Beginnen wir mit einer
Bestandsaufnahme, einem Auszug
aus der Palette angebotener
Teledienste. Diese reicht vom
Einkaufen über Bankgeschäfte bis
hin zu Erotik und Sex. Gerade
mit Erotik und Sex via
Telekommunikation wird der
internationale Markt zur Zeit
überschwemmt. Weitere
Anwendungskategorien umfassen
beispielsweise Beratungs-,
Auskunfts-, Unterhaltungs- und
Bildungsangebote (siehe
Übersicht 1). Bei der Palette
möglicher Dienste sind der
Phantasie kaum noch Grenzen
gesetzt. Aufgrund des weiten
Anwendungspotentials und des
riesigen Marktes ist es nicht
verwunderlich, daß diese Dienste
auch innerhalb des
Telekommunikationssektors,
gemeinsam mit
Mobilkommunikation, das
rascheste Wachstum (20-30%
jährlich) verzeichnen.
Übersicht 1:
Tätigkeiten bzw. Dienste, die
via Telekommunikation
abwickelbar sind (Auszug):
-
Einkaufen (Auswahl,
Bestellung, Bezahlung)
-
Bankgeschäfte (Kontoabfragen,
Transaktionen)
-
Konsulting (rechtliche,
medizinische, astrologische
Beratung)
-
Unterhaltung (Spiele, Witze,
Musik, Gespräche)
-
Auskunft (Wetter,
Veranstaltungen, Zugpläne,
Börsenkurse)
-
Bildung (Fernunterricht,
Schulung)
-
Kontakte (Partnervermittlung,
Neigungsgruppen)
-
Erotik (Telefonsex, Bilder,
interaktive Spiele)
2. TELEDIENSTE
AUS ÖKONOMISCH-ORGANISATORISCHER
SICHT
Aus
ökonomisch-organisatorischer
Sicht schaffen Teledienste
Koordinationsmechanismen für den
Austausch von Waren und
Dienstleistungen. Hierbei kann
unterschieden werden, ob
Teledienste elektronische
Hierarchien oder elektronische
Märkte schaffen. (siehe
Übersicht 2).
Ist etwa ein einzelner
Autoproduzent mit seinen
Zulieferfirmen mittels eines
Teledienstes verbunden, so ist
dies ein Beispiel für eine
elektronische Hierarchie. Diese
ist u.a. dadurch gekennzeichnet,
daß die Kontrolle des Waren-
bzw. Dienstleistungsflusses dem
Management der höheren
Hierarchieebene obliegt. Das
Ziel derartiger Teledienste
(z.B. von EDI - Electronic Data
Interchange) ist die engere
Koordination der Firmen,
etwa die automatische
Weiterverarbeitung von Daten mit
dem organisatorischen Ziel einer
Just-In-Time (JIT) Produktion.
Eine elektronische Hierarchie
entsteht beispielsweise auch
dann, wenn eine einzelne
Fluggesellschaft (wie in den
80er Jahren Delta in den USA)
Reisebüros einen
Tele-Buchungsdienst
ausschließlich für ihre Flüge
anbietet, oder, wie New Yorks
größtes Warenhaus Macy es plant,
einen eigenen Einkaufskanal via
KabelTV einrichtet.
Ein elektronischer Markt ist
hingegen dadurch gekennzeichnet,
daß mehrere Anbieter und Kunden
mittels eines
Telekommunikationsdienstes
verbunden sind. Während
elektronische Hierarchien oft
über private Netze
angeboten werden, so sind es bei
elektronischen Märkten meist
öffentliche Netze, in der
Regel die Telefonnetze.
Am Weg von elektronischen
Hierarchien zu elektronischen
Märkten kann es zu
Zwischenstadien kommen, zu
sogenannten tendenziösen
elektronischen Märkten ("biased
markets"). Ein Beispiel dafür
ist das Flugreservierungssystem
von American Airlines, das zwar
Flüge von verschiedenen
Fluggesellschaften anbietet, die
eigenen Angebote jedoch immer an
oberster Stelle reiht.
Mit der Einführung von
elektronischen Hierarchien und
Märkten werden unterschiedliche
Interessen verfolgt. Aus der
Sicht des Kunden sind
elektronische Märkte von Vorteil
in denen möglichst viele
Anbieter vertreten sind;
einzelne Anbieter sind wiederum
an elektronischen Hierarchien
zur Erzielung von
Wettbewerbsvorteilen
interessiert.
Übersicht 2:
Koordinationsmechanismen für den
Austausch von Waren und
Dienstleistungen:
-
Elektronische Hierarchien
(Bsp.: Autoproduzent -
Zulieferfirmen)
- via private Netze
(Firmennetze)
-
Elektronische Märkte (mehrere
Anbieter und Kunden)
- via öffentliche Netze (z.B.:
Telefonnetze)
3. ELEKTRONISCHE
MASSENMÄRKTE
Wir konzentrieren uns
nachfolgend auf elektronische
Märkte, auf Strategien der
Einbeziehung möglichst vieler
Anbieter und Kunden (siehe
Übersicht 3).
Vorerst stellt sich die Frage,
wie es zur
technisch-organisatorischen
Anbindung der Privathaushalte an
den Markt kommen soll und wer
daran Interesse hat.
Einerseits existieren
wirtschaftliche Interessen,
möglichst viele potentielle
Konsumenten, also möglichst
große Märkte zu haben. Dieses
Ziel läßt sich am besten über
öffentliche Netze (Telefonnetz)
erreichen. Andererseits gibt es
auch bildungspolitische
Interessen der jeweiligen
Regierung. Hierbei geht es zum
einen um eine Art
Alphabetisierung, um die
Qualifikation und Fähigkeit der
Bürger, die neuen
Kommunikationstechnologien
effizient zu nutzen.
Als physische Leitungen,
mit denen die Anbindung der
Teilnehmer erfolgen kann, bieten
sich das Telefonnetz und das
KabelTV-Netz an, zunehmend aber
auch Mobilkommunikationsnetze.
Als Grundvoraussetzung ist ein
gewisses Maß an
Interaktivität notwendig.
Übersicht 3:
Die Schaffung elektronischer
Massenmärkte. Ein Überblick:
Interessen:
-
wirtschaftliche
-
bildungspolitische
Initiativen: Premium Rate
Services (PRS)
|
Trends:
-
Kombinationen (Atx+KabelTV;
Atx+Fax, Atx+Vtx)
-
Integriertes
Breitband-Glasfasernetz
(Problem: "Fiber in the Loop")
-
Zwischen- bzw.
Alternativlösungen:
- KabelTV-Netze:
Interaktivität; vermittelte
Kommunikation
- KabelTV-Box mit eingebautem
PC; interaktive TV-Software
- Telefonnetze: höhere
Bandbreite;
Kompressionstechniken
- Asymmetrical Digital
Subscriber Line (ADSL)
-
Joint Ventures:
- AT&T (Telefon) und Viacom (KATV)
- Microsoft (Software) - Intel
(Microchips)- General
Instrument (KabelTV-Hardware)
- Microsoft (Software) - Time
Warner (KabelTV) -
Tele-Communications (KabelTV)
- US West (Telefon) und Time
Warner (KabelTV)
3.1.
Initiativen
Während der letzten Jahrzehnte
gab und gibt es international
gesehen im wesentlichen zwei
Initiativen, Privathaushalte in
den elektronischen Markt
miteinzubeziehen: Videotex- und
Audiotex-Dienste. Beide dienen
als Basis für ein jeweils weites
Angebot von Applikationen.
-
In vielen Ländern, wurde
mit staatlicher Unterstützung
das Videotex-System eingeführt
(in Österreich unter dem
Markennamen Bildschirmtext-Btx).
Zu einem Massendienst wurde
Videotex jedoch nur in
Frankreich, wo die Terminals
an Privathaushalte verschenkt
wurden und inzwischen über
sechs Millionen Terminals in
Verwendung sind. In allen
anderen Ländern, darunter auch
in Österreich mit 15.000
Teilnehmern im Jahr 1991, war
Videotex ein geringer Erfolg
beschieden.
-
Eine bessere
Ausgangsposition für eine
weite Verbreitung bot sich für
Audiotex-Dienste. Im
wesentlichen versteht man
darunter Telefondienste, für
die erhöhte Telefongebühren zu
bezahlen sind (sogenannte
"Premium Rate Services"). Daß
Dienstleistungen über das
Telefon angeboten werden, wäre
ja nichts neues; innovativ ist
das für die
Informationsanbieter bequeme
Inkasso durch den
Telefonnetzbetreiber, die
Abrechnung der
Dienstleistungen über die
Telefonrechnung. Der
Netzbetreiber kassiert und
teilt dann die Einnahmen mit
den Informationsanbietern. In
Österreich wurde im März 1993
ein österreichweiter
Audiotex-Pilotversuch
gestartet. Die Dienste sind an
der Vorwahl 045 erkennbar, am
bekanntesten sind bislang
Erotikdienste (meistens
Tonbanddienste) und sogenannte
Chatlines, also
Tratsch-Konferenzen, wobei
mehrere Kunden
zusammengeschaltet werden. Die
Ausgangsbedingungen, um ein
Massendienst zu werden, sind
sehr gut. Über 95 Prozent der
Privathaushalte verfügen
bereits über das notwendige
Terminal, den Telefonapparat,
und sind auch mit dessen
Benutzung vertraut. Im
Vergleich dazu war die
Situation für Btx zur Zeit
dessen Einführung viel
schlechter. Nicht einmal ein
Drittel der Haushalte verfügte
über die technischen
Voraussetzungen, um am Dienst
teilzunehmen. Aber auch für
die Audiotexverbreitung
existieren Probleme. Sie
ergeben sich bei der
Gewährleistung des
Jugendschutzes (Telefonsex)
sowie der Verhinderung von
Betrug (etwa mittels
irreführender Werbung oder
falschen Informationen für
hohe Gebühren).
3.2. Trends in
Richtung Erweiterung des
elektronischen Marktes
Sowohl über Audiotex- als auch
über Videotexsysteme kann eine
weite Palette an
Dienstleistungen angeboten
werden, jedoch bestehen auch
Limitationen. Es stellt sich die
Frage, ob die beiden Systeme
konkurrieren, oder ob sie
komplementär sind. Geht man von
den Anforderungen der Benutzer
aus, so gilt beispielsweise, daß
man mit sprachorientiertem
Audiotex bei komplexeren
Inhalten und auch bei der
automatischen Weiterverarbeitung
der Informationen auf Grenzen
der Anwendbarkeit stößt.
Um diesen Problemen
entgegenzuwirken, um -
genereller formuliert - den
verschiedenen Anforderungen der
Benutzer besser zu entsprechen,
werden Kombinationen
verschiedener Systeme angeboten:
So kann die Abfrage mittels
Audiotex und die Antwort mittels
Telefax erfolgen. In den USA
wird weiters die Kombination
angeboten, daß mittels einer
Audiotexnummer verschiedene
Music-Videoclips abgerufen, über
KabelTV übertragen und via
Telefonrechnung vergebührt
werden. Eine Erweiterung des
Anwendungsspektrums von Audiotex
könnte auch die Verbreitung von
Bildtelefonen mit sich bringen.
Falls neben Sprache auch noch
Bild und eingeschränkte
Bewegtbildinformation
übermittelt werden kann, so wäre
dies die Basis für ein
erweitertes Dienstangebot.
Bildtelefonapparate sind bereits
seit über 25 Jahren am Markt,
konnten sich bislang aber nicht
durchsetzen. In Großbritannien
wird angesichts einer
angekündigten Verbilligung der
Bildtelefonapparate befürchtet,
daß speziell Tele-Erotikdienste
sich der neuen Möglichkeiten
bedienen werden, woraufhin
Bildtelefone für Audiotexdienste
bereits verboten wurden, noch
bevor sie sich am Markt
etablierten konnten.
Für eine weitere
Dienstkategorie der ein großer
Markt prophezeit wird, nämlich
"Video on Demand" (Video auf
Abruf), sind sowohl
Bildschirmtext als auch Audiotex
in ihrer derzeitigen
Konfiguration ungeeignet, da
Bewegtbildfähigkeit hoher
Qualität benötigt wird.
Der Trend geht in Richtung
Integration der verschiedensten
schmal- und breitbandigen
Dienste auf einem Netz. Als
technische (Ideal)Lösung wird
ein integriertes
Breitband-Glasfasernetz
(Vermittlungsnetz) angestrebt,
das in jeden Haushalt reicht.
Diese Variante, speziell die
Glasfaserverkabelung bis zu
jedem Haushalt ("Fiber in the
Loop"), ist sehr aufwendig und
teuer, deren Realisierung wird
realistischerweise noch
Jahrzehnte dauern. So lange
wollen die Dienstanbieter
natürlich nicht warten. Daher
wird auch bereits an
alternativen Lösungen auf der
Netzebene gearbeitet.
Im wesentlichen gibt es zwei
Lösungsansätze:
1. Die Erweiterung des
KabelTV-Netzes (um
Interaktivität und
Vermittlungsfähigkeit)
2. Die Erweiterung des
Telefonnetzes
(Übertragungsgeschwindigkeit;
Kompression bei der
Datenübertragung)
KabelTV-Netze,
ursprünglich für
Einwegkommunikation konzipiert,
werden interaktiv und entwickeln
sich von reinen Verteilnetzen zu
vermittelten Netzen. Dies ist
z.B. in Teilen Großbritanniens
bereits verwirklicht. Dort
bieten KATV-Betreiber auch
lokale Telefondienste über ihre
Netze an, beispielsweise die
Firma NYNEX, die neben zwei
weiteren US-Telefonfirmen (Southwestern
Bell und Telewest) sowie der
kanadischen Firma BCE zu den
größten KATV-Betreibern in
Großbritannien zählt.
-
Weitere Entwicklungsprojekte
zur Aufwertung des
KabelTV-Netzes ist ein
geplantes Joint Venture der
Firmen Microsoft (Software),
Time Warner und
Tele-Communications Inc. (US-KabelTV-Anbieter),
zur Entwicklung interaktiver
TV-Software. Mittels dieser
Software, die in den
KabelTV-Decodern installiert
wird, können, individuell
steuerbar, eine ganze
Bibliothek von Filmen,
Informationsdiensten,
Nachrichten etc. abgerufen
werden.
-
Bereits Anfang 1993 schlossen
sich Microsoft (Software),
Intel (Microchips) und General
Instrument (KabelTV-Hardware)
zusammen, um eine KabelTV-Box
mit eingebautem interaktivem
PC zu entwickeln.
-
Weitere Joint Ventures
zwischen KabelTV-Firmen und
Telefonfirmen (US-West und
Time Warner; AT&T und Viacom)
in den USA arbeiten an "Video
on Demand"-Diensten auf der
Basis von KabelTV-Netzen,
unter Nutzung von
Telefon-Vermittlungsämtern.
AT&T entwickelt einen
Computer, der tausende Videos
in digitalisierter Form für
den "Video on Demand"-Dienst
abrufbar macht. Konkurrenz
gibt es hierbei von IBM, die
ebenfalls einen Computer
entwickelten, der sich als
Videothek eignet.
-
Die beiden größten
KabelTV-Anbieter der USA, Time
Warner und Tele-Communications,
schlossen sich zusammen, um
einen gemeinsamen Standard
(Hardware und Software) für
den Ausbau der KabelTV-Netze
in sogenannte "electronic
superhighways" zu entwickeln.
Telefonnetze
verfügen im Gegensatz zu
KabelTV-Netzen über genügend
Interaktivität. Ihnen fehlt
hingegen die Bandbreite, um etwa
"Video on Demand", also
Bewegtbilder, in TV-Qualität zu
übertragen. Derzeitige Lösungen
von Breitbandtechnik über das
Telefonnetz, wie das MAN (Metropolitan
Area Network), werden für
betriebliche Nutzer, nicht aber
flächendeckend angeboten.
Technisch gesehen kann "Video on
Demand" nicht nur über
Glasfasernetze angeboten werden.
Bellcore, das Forschungsinstitut
der US-Bell-Telefonfirmen, hat
erstmals 1989 einen Standard
vorgeschlagen, sogenannte
Asymmetrical Digital Subscriber
Lines (ADSL), die in eine
Richtung eine
Breitbandübertragung bis zu 1,5
Mbit/sec auf bestehenden
Kupferzweidrahtleitungen
ermöglichen. Inzwischen kann man
auf ADSL mittels der Discrete
Multi-Tone Technik (DMT) bis zu
einer Geschwindigkeit von
6Mbit/sec übertragen, also mehr
als ausreichend für einen
verbesserten TV-Standard. Die
Lösung hat den großen Vorteil,
daß damit beinahe sämtliche
Haushalte "Video on Demand" über
das Telefonnetz beziehen
könnten, während
Glasfaserlösungen noch weit von
diesem Verbreitungsgrad entfernt
sind. Auch europäische
Telefonfirmen überlegen daher,
die ADSL-Technik als Aufwertung
ihrer Telefonnetze zu verwenden.
Zusammenfassend zeichnet sich
also ein Wettlauf um die
Installation des integrierten
Netzes ab, auf dem eine Fülle
neuer Dienste von
Privathaushalten aus abrufbar
sind. Im speziellen konkurrieren
die Firmen um den Hoffnungsmarkt
"Video on Demand", also das
individuell gestaltbare
TV-Programm.
Ob nun in den verschiedenen
Ländern schwerpunktmäßig eine
KabelTV- oder eine
Telefonnetz-Lösung gewählt wird,
hängt nicht zuletzt von der
Verbreitung dieser Netze ab. Die
KabelTV-Dichte schwankte 1990/91
in den OECD-Ländern zwischen 89
Prozent in Belgien und 1,5
Prozent in Großbritannien und
Frankreich; in den USA betrug
die Dichte 55 Prozent,
Österreich lag mit 25 Prozent
unter dem OECD Schnitt von 32
Prozent.
4. METAPHERN FÜR
TELEKOMMUNIKATION
Die Rolle und Bedeutung der
Teledienste läßt sich u.a.
anhand der gängigen
gesellschaftlichen Sichtweisen
von Telekommunikation
analysieren. In diesem
Zusammenhang möchte ich auf
Metaphern im Zusammenhang
mit Telekommunikation verweisen,
auf Bilder und Analogieschlüsse,
die das Verständnis der
Telekommunikation fördern und
gleichzeitig prägen (siehe
Übersicht 5).
Traditionell wird
Telekommunikation als
Leitungssystem, als
Infrastruktur, gleich jener für
Energie-, Personen- und
Gütertransport betrachtet. Viele
Vergleiche und Analogieschlüsse
wählen das Bild des Verkehrs-
oder Transportsystems für das
Gut Information. Dieses Bild
dient meist der Erklärung der
wirtschaftlichen Bedeutung von
Telekommunikation und in der
Folge der Rechtfertigung
riesiger Investitionen.
Im letzten Jahrzehnt hat sich
nun auch eine räumliche
Sichtweise von Telekommunikation
etabliert. Es ist vor allem der
Verdienst der Science Fiction
Romane von William Gibson, die
räumliche Dimension der
Telekommunikation, den "Cyberspace",
wie Gibson ihn bezeichnete, in
den Vordergrund zu rücken. Wir
wollen diesen räumlichen Aspekt
hier aufgreifen, aber anstatt
Cyberspace die Metapher "Elektronischer
Raum" verwenden, der durch
Telekommunikationsnetze
geschaffen wird. In diesem
elektronischen Raum existieren
die bereits erwähnten
elektronischen Märkte, es werden
all die Dienste angeboten, die
wir eingangs erwähnt haben. Raum
impliziert auch, daß darin
Kommunikationsprozesse, soziale
Interaktionen stattfinden.
Gleichwie im physischen Raum
entwickeln die Benutzer
"Lieblingsplätzchen", seien es
spezifische Diskussionsecken,
Spielgruppen etc.
Während sich die Metapher von
Telekommuniktionsnetzen als
Leitungen und Infrastruktur gut
zur Erklärung der
wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Bedeutung
eignet, so kann die räumliche
Metapher, genauer gesagt die
sozio-räumliche Metapher,
vor allem dem besseren
Verständnis des Zusammenwirkens
von technischem Design,
staatlicher Regulierung und dem
Benutzerverhalten dienen.
Übersicht 5:
Metaphern für den
Telekommunikationssektor
-
Verkehrs-, Transportsystem;
Informations-Infrastruktur
("Superhighway")
-
Cyberspace; Elektronischer
Raum (sozio-räumliche
Sichtweise)
5. DIE GESTALTUNG DES
ELEKTRONISCHEN RAUMES
Im physischen Raum sind
Raumplaner und
Architekten zentral mit der
Gestaltung befaßt und
beeinflussen somit auch die
sozialen Interaktionen im Raum,
es kann Macht über Personen
ausgeübt werden. Ein gutes
Beispiel für die Beeinflussung
von Personen sind
Einkaufszentren, wo mittels
Architektur bewußt Konsumenten
in Richtung einer Vereinfachung
der Konsumption beeinflußt
werden.
Vergleichbar dazu sind es im
elektronischen Raum Techniker
einerseits und
Telekommunikationspolitiker
andererseits, die die soziale
Interaktion im elektronischen
Raum, speziell etwa im
elektronischen Einkaufszentrum
bestimmen. Man kann auch die
Überwachung und Kontrolle des
elektronischen Raumes steuern,
wie sehr nun ein Raum privat
oder öffentlich ist.
Einflußmöglichkeiten bieten sich
über die
-
Gestaltung
des Dienstes
(Benutzerfreundlichkeit des
Endgerätes, die
Übersichtlichkeit der
Datenbank etc.) und durch die
-
staatliche
Regulierungen
(Gesetze, Verordnungen), die
etwa den möglichen Inhalt des
elektronisch angebotenen
Dienstes regulieren (keine
Pornographie etc.), oder
festlegen, wer zu welchen
Bedingungen anbieten darf
(Marktzugangsregelungen).
Technikentwicklung im
allgemeinen und die Gestaltung
des elektronischen Raumes im
speziellen geschehen in
Alternativen und Verzweigungen,
wobei dem Benutzer die
Verzweigungen meistens gar nicht
bewußt sind und in vielen Fällen
auch bewußt nicht bewußt gemacht
werden.
5.1.
Fallbeispiel Rufnummernerkennung
Da sich die tägliche
Lebensgestaltung, wie bereits
eingangs erwähnt, nun immer mehr
in den elektronischen Raum
verlagern läßt, ist dessen
Design auch für Privathaushalte
von wachsender Bedeutung. Dem
entgegen sind private Nutzer
jedoch in der Regel nicht in den
Designprozeß miteinbezogen. Es
gibt international gesehen nur
einige Ausnahmefälle,
beispielsweise das
Bürgergutachten über ISDN in
Deutschland. Dort wurde auf der
Basis der Bewertung
verschiedener Alternativen durch
private Benutzer die Gestaltung
des ISDN-Angebotes verändert. In
Österreich sind weder private
noch geschäftliche Benutzer in
den Designprozeß von ISDN
eingebunden. Wie vielschichtig
und sensibel sich die
technisch-organisatorische
Gestaltung von Diensten auf
deren Benutzung auswirkt, zeigt
das Fallbeispiel des auf den
ersten Blick harmlos wirkenden
ISDN-Telefonzusatzdienstes
"Rufnummernerkennung" (Caller-ID).
Mittels dieses Zusatzdienstes
wird die Telefonnummer des
Anrufenden bereits vor dem
Abheben am Display des
Angerufenen angezeigt.
Die Rufnummernerkennung wird
derzeit in Österreich im Zuge
der Umstellung des Telefonnetzes
auf ISDN eingeführt. In Ländern,
etwa den USA, wo Caller-ID in
einigen Bundesstaaten bereits
verfügbar ist, kam es
diesbezüglich bereits zu
etlichen Kontroversen, zu
parlamentarischen Hearings etc.
und auch die EG befaßt sich mit
den möglichen Auswirkungen
dieses Dienstes. Eine
ausführliche Analyse der
Rufnummernerkennung würde den
Rahmen dieses Artikels sprengen.
Ich möchte mich daher darauf
beschränken, einige durch diesen
Dienst aufgeworfene
Problemstellungen, Interessen
der Akteure sowie verschiedene
Designvarianten und deren
mögliche Auswirkungen
stichwortartig aufzuzeigen:
Funktion:
-
Die Rufnummer des Anrufenden
erscheint am Apparat des
Angerufenen während des
Läutens des Telefons.
Welche Möglichkeiten bietet die
Rufnummernerkennung? (Beispiele)
-
Der Angerufene kann sich
entscheiden, ob er abhebt oder
nicht. Dies kann automatisiert
werden, indem unerwünschte
Anrufer (Nummern) in der
Telefonanlage gespeichert
werden. Anrufe aus dieser
Liste können zu einem
Besetzzeichen oder einem
Tonband umgeleitet werden.
-
Intensivere Kundenbetreuung:
Firmen können beispielsweise
Kunden persönlich begrüßen
noch bevor sich diese
vorgestellt haben da am
Bildschirm des Betreuers
automatisch ein
Stammdatenblatt des Anrufers
erscheint.
-
Die Nummern sämtlicher Anrufer
können gespeichert und dann
für Telemarketing
weiterverwendet werden.
Argumente für die
Rufnummernerkennung:
-
Verhinderung von
belästigenden, anonymen
(Droh-) Anrufen;
(Gegenargument: Fangschaltung
als Alternative)
-
Verhinderung von Fehlalarms
bei Feuerwehr und Polizei.
(Gegenargument: Schon jetzt
werden für Alarmanrufe
Fangschaltungen verwendet)
-
Wirtschaftliches Interesse an
der Speicherung der anrufenden
Nummern für Marketingzwecke
(Beispiel: Anrufer bei
Warenhäusern, die sich über
gewisse Produkte informieren,
werden automatisch in eine
Datei für das Telefonmarketing
aufgenommen.);
-
Mehreinnahmen für die
Telefongesellschaften.
Argumente gegen
Rufnummernerkennung:
-
viele Beratungs- und
Auskunftsdienste (anonyme
Alkoholiker, AIDS-Auskunft
etc.) basieren auf der
Anonymität des Anrufenden;
(Gegenargument: Anrufe aus
öffentlichen Telefonzellen zur
Wahrung der Anonymität.)
-
keine Geheimnummern mehr
möglich;
-
Datenschutzbedenken.
Problemstellungen:
-
wessen Privatsphäre ist durch
den Dienst gefährdet? Die des
Anrufers (durch den Dienst)
oder die des Angerufenen (ohne
den Dienst)?
-
Welche Variante des Dienstes
entspricht dem Grundsatz der
"informationellen
Selbstbestimmung" der
Telefonkunden?
-
Wer bezahlt für die
Rufnummernerkennung,
beziehungsweise für dessen
Unterdrückung?
Gestaltungsvarianten:
-
"Informationelle
Selbstbestimmung" heißt in
diesem Fall, daß der Anrufer
über die Verwendung seiner
Daten (=Rufnummer) selbst
bestimmt; daß der Anrufer
entscheidet, ob seine
Rufnummer angezeigt wird oder
nicht. Dementsprechend sieht
auch der EG-Standard für den
Dienst "Rufnummernanzeige"
eine Unterdrückungsmöglichkeit
vor. Hierzu bieten sich jedoch
verschiedene
Gestaltungsvarianten mit
unterschiedlichen Auswirkungen
an:
- standardmäßige
Anzeige oder Nichtanzeige der
Nummer;
- Wahl der Unterdrückung pro
Anruf oder pro
Anschluß?
Erläuterung: Falls
standardmäßig die Rufnummer
angezeigt wird, so könnte es
suspekt erscheinen, falls die
Nummer nicht freigegeben wird
- wodurch ein Druck in
Richtung Freigabe entsteht;
außerdem ist die Unterdrückung
dann mit zusätzlichem
Aufwand verbunden (Eingabe
eines zusätzlichen Codes zur
gewählten Nummer). Weiters ist
zu beachten, daß
erfahrungsgemäß der Großteil
der Telefonkunden sich für die
standardmäßig vorgesehene
Variante entscheiden wird, den
Mehraufwand meidet, unabhängig
davon welche Variante dies
auch ist.
-
Ein weiteres Kriterium für die
Benutzung des Dienstes sind
die Kosten. Wieviel kostet der
Zusatzdienst, wieviel die
Unterdrückung der
Nummernanzeige?
Mittels der Festlegung der
Standard-Variante (Rufnummer
wird weitergegeben oder
Rufnummernunterdrückung) sowie
der Festlegung der
Kostenstruktur (Kosten für die
Unterdrückung oder Kosten für
die Weitergabe der Daten) wird
also über die Benutzung und die
Auswirkung des Dienstes
entschieden. Bei der Bestimmung
der standardmäßigen Variante des
Dienstes ist weiters zu
berücksichtigen, für welche Art
der Kommunikation der
Telefonkunde einen Vertrag mit
der Post abgeschlossen hat. Die
Rufnummernanzeige kann nämlich
den Charakter des Telefonierens
verändern. Will man den
Telefondienst als anonymen
Dienst bewahren, so dürfte die
Rufnummer standardmäßig nicht
übertragen werden, sondern nur
nach Eingabe eines Codes durch
den Anrufenden.
Die Österreichische Post- und
Telegraphenverwaltung hat sich
im Rahmen des
ISDN-Pilotversuches für folgende
Variante der Einführung der
Rufnummernerkennung
entschlossen: Die
Rufnummernweitergabe kann vom
Anrufenden unterdrückt werden;
die Unterdrückung erfolgt pro
Anruf; sie kostet 30 Schilling
Umstellgebühr (einmalig) und 5
Schilling pro Anruf;
Die Überlegung dahinter scheint
somit folgende zu sein: alle
Anrufer sollen ihre Nummer
preisgeben, wer dies nicht will,
soll für diese
Datenschutzmaßnahme auch
bezahlen.
Eine Alternative zu diesem
Konzept wäre, daß der anonyme
Anruf Standard bleibt und für
den zusätzlichen Dienst der
Weitergabe von Nummern bezahlt
werden muß. Den
Telefonteilnehmern bliebe dann
immer noch die Möglichkeit, daß
sie nur jene Telefonate
entgegennehmen, bei denen sich
die Anrufenden identifizieren.
Das Fallbeispiel
"Rufnummernerkennung" zeigt, daß
bei näherer Betrachtung von
Telediensten etliche
Gestaltungsvarianten existieren.
Die einzelnen Varianten
transportieren unterschiedliche
Zielsetzungen und Werthaltungen
und haben verschiedene
Auswirkungen auf die Benutzer
der Dienste. Die Einbeziehung
der Benutzer bei der Asuwahl der
Standardvariante setzt das
Aufzeigen und die Erklärung der
Alternativen voraus. Eine
derartige partizipative
Einführungsstrategie wäre ein
Schritt in Richtung
Demokratisierung der
Technikgestaltung und nicht
zuletzt auch als
akzeptanzfördernde Maßnahme für
den Dienstanbieter von Vorteil.
6. ZUSAMMENFASSUNG
Im Rahmen dieses Artikels wurde
versucht, einige Aspekte der
rasch anwachsenden Teledienste
für den Massenmarkt zu
skizzieren. Nach der
Beschreibung der Dienstpalette
wurden unterschiedliche
Varianten der
Koordinationsfunktion von
Telediensten beim Austausch von
Waren und Dienstleistungen
thematisiert. Aus
ökonomisch-organisatorischer
Sicht kann zwischen
elektronischen Hierarchien und
elektronischen Märkten
unterschieden werden. Als
Beispiel internationaler
Strategien zur Schaffung von
elektronischen Massenmärkten
wurde Videotex (80er Jahre) und
Audiotex (90er Jahre)
herangezogen. Eine wesentliche
Erweiterung der elektronischen
Massenmärkte wird durch die
Integration und Kombination von
Telekommunikationsdiensten und
TV (Video) auf einem
interaktiven, breitbandigen (Vermittlungs)Netz
erwartet. Dieser Markt
(beispielsweise um den Dienst
"Video on Demand") verursacht
bereits einen Wettlauf zwischen
Telefonnetz- und
KabelTV-Betreibern, die ihre
Netze dementsprechend adaptieren
müssen. Einige aufgelistete
Joint Ventures von Firmen aus
den verschiedenen
Industriezweigen verdeutlichen
die wachsende Konvergenz des
Telekommunikations- und
Rundfunksektors. Ausgehend von
Metaphern für den
Telekommunikationssektor wurde
abschließend auf die Bedeutung
der Gestaltung von Diensten und
Netzen verwiesen. Neben der
Sicht der
Telekommunikationsnetze und
Dienste als Infrastruktur, als
Leitungssystem für das Gut
Information, hat sich auch ein
Bild von Telekommunikation als
"Elektronischer Raum", als
"Cyberspace" etabliert. Diese
räumliche Metapher eignet sich
gut für die Beschreibung des
Zusammenwirkens von technischem
Design, staatlicher Regulierung
und dem Benutzerverhalten. Als
Fallbeispiel, welches die
Brisanz der technischen und
regulatorischen Gestaltung
veranschaulicht, wurde das
international umstrittene
Dienstmerkmal
"Rufnummernerkennung" (Caller-ID)
gewählt. Das Beispiel zeigt
nicht nur die Auswirkungen
alternativer Konfigurationen von
Zusatzdiensten auf den Charakter
des Telefondienstes, sondern
thematisiert auch das Problem
der mangelnden Einbeziehung von
Benutzern in den
Gestaltungprozeß, mit anderen
Worten, die Möglichkeiten und
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Periodicals:
Financial Times
New York Times
Standard
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