KEINE NEUE BAUWEISE - EINE NEUE
LEBENSWEISE TUT NOT
Blickt man auf die Disziplinen,
die in diesem Symposium
zusammengeführt werden sollen,
so fällt zuerst auf, daß es sich
dabei offensichtlich um einen
Versuch handelt Widersprüche zu
vereinen, Einhegung” und
Entgrenzung” als Aspekte eines
größeren Ganzen zu begreifen.
Historisch betrachtet läßt sich
weiters feststellen, daß es sich
bei diesem Bemühen darum
handelt, die älteste der
Ingenieurkünste, die
Architektur, der jüngsten zu
vermählen. Darf man dieser neuen
Liaison bedenkenlos Glück für
eine neue Zukunft wünschen?
Werden die Auguren und die Hüter
von Recht und Ordnung bereit
sein ihren Segen zu geben und
damit zum Ausdruck bringen, daß
es sich dabei um ein
wohlgefälliges und anständiges
Bündnis” handelt, dem Bestand zu
wünschen und zu prophezeien ist?
Die Antworten auf solche Fragen
sind gesellschaftsbezogen. Was
wohlgefälig ist, war bis vor
nicht allzu lange Gottes Urteil
anvertraut. Seit E. Durkheim
wissen wir aber, daß Gott die
Gesellschaft ist und so kommt
es, daß die Rolle der Auguren
nun Sozialwissenschaftern
zufällt.
Als solcher bin ich zwar nicht
berufen, dem Bund den Segen fürs
Leben zu erteilen, doch solches
steht im Zeitalter einer um sich
greifenden Single-Kultur”
sowieso nicht zur Debatte. Bei
den heutigen Verhältnissen kommt
es vielmehr darauf an, einen
Ehekontrakt zu entwerfen, der
alle möglichen Eventualitäten
berücksichtigt, die eintreten
können, wenn der Charme der
greisen Architektin den
schmucken Telemacher nicht mehr
in ihren Bann schlägt.
Somit beginnt sich meine Aufgabe
und Rolle zu präzisieren:
Aus dem Kaffeesud lesend die
Zeichen der Zeit zu deuten und
warnend dort und da die Stimme
heben, ohne deshalb gleich mit
Kassandra in Konkurrenz treten
zu wollen.
Nicht grundlos habe ich zuvor
von einer Single-Kultur”
gesprochen. Es scheint ein
hervorstechendes
Charakteristikum unserer Zeit zu
sein, daß Einpersonenhaushalte
in beachtenswerter Weise im
Zunehmen begriffen sind.
So hat sich, nach Angaben des
Statistischen Zentralamts, die
Zahl der Einpersonenhaushalte
österreichweit von 1951 bis 1990
von 17,5% auf 28,5% erhöht,
wobei ein weiteres Ansteigen
erwartet wird. Solche Haushalte
sind vor allem ein städtisches
Phänomen. Daher wurden 1991 in
Wien allein 41,4% aller
Haushalte als Einzelhaushalte
registiert. In Deutschland und
anderen industrialisierten
Ländern finden sich allerdings
Städte, wo diese Zahl bereits
über der 50% Marke liegt. Es
weist sich demnach die Tendenz
aus, daß diese Lebensform
zumindest im urbanen Bereich zur
dominanten wird. Nicht unerwähnt
bleiben sollte, daß in diesen
Zahlen Haushalte, wo ein
Erwachsener mit Kind oder
Kindern lebt nicht
berücksichtigt sind.
Die Ursachen für diese
Entwicklung sind vielfältiger
Natur, sie hängen auch mit der
Verbreitung der
Informationstechnologien
zusammen, deren zunehmender
Konsum sowohl Wirkung, als auch
Ursache der konstatierten
Tendenz ist. Auf diese
Zusammenhänge wird noch näher
eingegangen. Zunächst erachte
ich es aber für nötig einge
prinzipielle Feststellungen
vorauszuschicken.
Obwohl ich im allgemeinen kein
Vertreter einer biologistischen
Bedürfnistheorie bin, die meint,
es ließen sich allgemeingültige
Hierarchien menschlicher
Bedürfnisse aufstellen, bin ich
doch davon überzeugt, daß die
Majorität der Menschen
Gesellschaftstiere” sind, die
ihre Fähigkeiten nur im Umgang
mit anderen Menschen voll
entwickeln können. Die
Lobpreisungen hehrer Einsamkeit
und Freiheit”, die gerade in
akademischen und intellektuellen
Zirkeln so besonders gerne
betrieben wird, kann nur als
Resultat einer spezifischen
Sozialisation verstanden werden
und keineswegs als Teil einer
allgemeingültigen condition
humaine”.
Es ist im Gegenteil erwiesen,
daß Vereinzelung zu
psychopathologischen
Erscheinungen führt bzw. zu
sozialen Verhaltensweisen, die
oft genug das diametrale
Gegenteil der Ausgangssituation
zum Ziel haben, nämlich die
Formierung entpersönlichender
Solidargruppen, wie wir sie von
street-gangs” oder
neofaschistoiden Gruppierungen
kennen.
Wie in anderen Fällen auch,
führt die Überbetonung einer
Qualität zum dialektischen
Umschlag in ihr Gegenteil. Aus
Lust wird Schmerz, aus
übersteigertem Individualismus
die romantische Suche nach dem
größeren Ganzen, Xenophobie und
Intoleranz oder im besten Fall
die Flucht in rastloses Reisen,
die nicht endende Suche nach
Abenteuer, Träumen und damit
verbunden massenhaftem Konsum
von Symbolen, Drogen und anderen
Rauschmitteln, zu denen auch
schnelle Autos, Sportflugzeuge
und ähnliches zu rechnen sind,
als letzte Stütze für
Selbstbestätigung und
Selbstwertzuschreibung.
Wie meistens in
gesellschaftspolitischen
Belangen, finden wir uns mit
einer Situation konfrontiert, wo
man Scylla meidet, um Charybdis
zu verfallen, bzw. nur die
umsichtige Fesselung eigener
Begierden und das Träufeln von
Wachs in die Ohren der Gefährten
einen Kurs finden läßt, der
zielführend den Klängen der
Sirenen entkommen läßt.
Offenbar genügt es nicht, eine
Technik, sagen wir des
Wachs-Einträufelns, zu
beherrschen. Man muß
darüberhinaus auch wissen, wo
Ithaka liegt, und Scylla und
Charybdis kennen bzw. erkennen.
Mit dieser Metapher wird die
Notwendigkeit einer
sozialwissenschaftlichen
Ausbildung für Ingenieure
angedeutet. Denn es erweist sich
nur allzu oft, daß am Beginn
neuer Technologien kein
allgemein verspürtes Bedürfnis
nach ihrer Erfindung oder ihrem
Einsatz besteht, sondern daß
dieser sehr oft erst
nacherfunden wird, uzw. meist im
Rahmen einer kollektiven
Leistung, die im Ersinnen neuer
Bedürfnisse besteht. Solche
Leistungen wurden etwa im
Anschluß an die Erfindung des
Phonographen, des Telefons, des
Penicillins, oder näher an
unserer eigenen Zeit des PC oder
von ISDN erbracht.
Die innovativen Tätigkeiten von
Ingenieuren sind demnach nicht
zwangsläufig ziel- orientiert,
sondern öfter als manchmal
offenbar ideosynkratisch bis
chaotisch. Ihre Produkte sind
auch nicht immer zur Besserung
der allgemeinen Wohlfahrt
bestimmt; vielmehr scheint es
so, daß technische
Erfindungen,wie die Klänge der
Sirenen, gesellschaftliche
Kursanpassungen erfordern, deren
Sinnhaftigkeit nur dann gegeben
erscheint, wenn zuvor schon
keine Vorstellung vom Kurs
bestanden hat. Allerdings läßt
sich diese Beobachtung auch
anders interpretieren:
Informatik, wie auch die
Architektur und die anderen
Disziplinen der
Ingenieurtätigkeit, ist nicht
nur die Wissenschaft von der
Erzeugung von
Informationstechnologien und der
technischen Verarbeitung von
Zeichen. Sie ist, wie sich
zunehmend herauszustellen
beginnt, eine Sozialtechnologie,
deren Arbeitsdomäne das
Zusammenleben und das
Zusammenwirken von Menschen ist.
Dieses gesellschaftsbildende
Potential wird oft nicht
wahrgenommen, aber mit
Bestimmtheit auch genauso oft
mehr oder weniger schamhaft
verschwiegen.
Anschauungsmaterial für diese
gesellschaftsprägenden Wirkungen
von Technik werde ich Ihnen in
Zusammenhang mit einer
Auseinandersetzung mit
Telearbeit sofort nachliefern.
Diese Aussagen beinhalten auch
eine herbe Kritik an unserer
zeitgenössischen Politik, die
für Kursvorgaben zuständig wäre.
Sie ist gleichbedeutend mit der
Feststellung, daß den Künstlern
des Möglichen” schlicht der Sinn
für das, was im Sozialen und
Politischen alles möglich ist,
abhanden gekommen zu sein
scheint. Lieber starrt man, wie
das Kaninchen auf die Schlange,
auf die Zerrspiegel der
Wirklichkeit, wie sie die
politische Statistik anbietet.
Die Kunst des Möglichen”, als
welche Politik oft bezeichnet
wird, beinhaltet ein
Konkurrenzverhältnis zur Kunst
der Artefakte, die wir grosso
modo den Ingenieuren anheim
stellen.Tatsache ist, daß
Probleme sehr oft in höchst
unterschiedlicher Weise gelöst
werden könnten, nämlich durch
soziale oder auch technische
Innovationen. Das heißt aber in
anderen Worten nichts anderes,
als daß in unserer Zeit sehr oft
Probleme selbst solange
bearbeitet werden bis sie zu
technischen Problemen werden, dh.
einer ingenieurmäßigen Lösung
zugeführt werden können und
damit offizieller Politik
entzogen werden. Werden
derartige Lösungsmuster aber zur
dominanten Form, dann passiert
das gleiche was bereits eingangs
im Zusammenhang mit sozialen
Entwicklungen konstatiert wurde:
Technik wird auch als Politik
verstanden, es erfolgt ein
radikaler Umschlag zum
Gegenteil, Technik wird dann
undiskrimierend abgelehnt.
Bringt man diese Beobachtungen
auf den Punkt, dann muß zunächst
vermerkt werden, daß mit Hilfe
technischer Mittel das Soziale
bearbeitet wird. Demnach ist
aber der Soziologe nicht
irgendein Adabei”, der sein
Etikett auf die
unterschiedlichsten Gegenstände
draufklatscht”, wie es in diesem
Haus etwas blauäugig noch immer
mehrheitlich dargestellt wird.
Vielmehr entmystifiziert er,
indem er der Vermittlung des
Zusammenwirkens und
Zusammenlebens der Menschen
durch nur scheinbar tote Dinge
nachspürt, einen falschen
Technikbegriff und gleichzeitig
einen nicht mehr zeitgemäßen
Gesellschaftsbegriff. Es ist
seine vordringlichste Aufgabe
auf die oft wenig sachliche
Herkunft der Sachen hinzuweisen
und auf Wirkungen und Gefahren
aufmerksam zu machen, die genau
jener Gesellschaftsvergessenheit
bei der sachlichen Betrachtung
der Dinge entspringen.
Kehren wir nun zu unserer
Mesalliance”, der Verbindung von
Architektur und
Telekommunikation zurück. Die
häufigsten Vorstellungen, die
damit verknüpft werden sind etwa
folgende:
Die Auflösung der räumlichen
Trennung von Arbeit und
Freizeit, Privatbereich und
Öffentlichkeit.
Damit nahezu zwangsläufig
verbunden sind Vorstellungen
über die Reduktion von Verkehr
zusammen mit einer
Ökologisierung” der
Lebensbedingungen durch größere
Streuung der Wohnungen.
Eine nahezu unerschöpfliche
Fülle von Information in allen
ihren Spielarten, das heißt:
Mehr Bildung, mehr Unterhaltung,
mehr Kontaktmöglichkeiten auch
bei spleenigen Interessenslagen,
sowie mehr Zeit für deren
Pflege. Diese wird vor allem
über Reduktion von
Transportzeiten gewonnen.
Mehr Serviceleistungen durch
zunehmende Computerisierung.
Dazu zählen u.a. Vorstellungen
über das intelligente Haus”, das
nicht nur Kinder beaufsichtigt,
sondern sich auch selbst
repariert, bzw. Reparaturen
veranlaßt, den eigenen
Energiekonsum optimiert u.a.
mehr. Eine bereits existierende
Variante dieses Typs findet sich
in Florida mit dem Namen:
XANADU.
Es wird bewohnt von sogenannten
TAFFIES, technologically
advanced families. Es besteht
aus verschiedenen Zentren, dem
Energiezentrum, einer
elektronischen Küche, wo auch
der Ernährungswert der Menues,
die angeboten werden, berechnet
wird, einem
Unterhaltungszentrum, das unter
Einsatz von biofeedback”-
Mechanismen auch auf die
jeweiligen Stimmungslagen der
Anwesenden angemessene
Unterhaltung bietet. Das
Bildungszentrum steht
selbstverständlich nicht nur
Kindern offen, sondern bietet
auch für die Erwachsenen
angemessene
Weiterbildungschancen. Es
verfügt zwangsläufig über alles,
was es auf diesem Sektor gibt,
Zugang zu allen Bibliotheken der
Welt, Simulationsprogramme etwa
für Weltraumflüge oder Reisen in
einer relativistischen Welt mit
Lichtgeschwindigkeit,
Breitwandschirme etc.
Selbstverständlich findet sich
auch ein Büro für die jeweilige
Erwerbstätigkeit, sei sie
cottage industry”
(Heimindustrie), business im
Sinn von Geldverkehr und Handel
oder Serviceleistung und
intellektueller Betätigung.
Bezeichnenderweise sind diese
Heimstätten auch gerne in Wüsten
imaginiert, also menschlicher
Umwelt weitgehend entzogen,
wobei es bereits egal bleibt, ob
es sich dabei um solche
traditioneller Vorstellung
handelt, den interstellaren
Raum, die Tiefen der Ozeane oder
die Gletscherfelder der
Polregionen. Der amerikanische
Traum vom elektronischen Heim
ist vorwiegend asozial, oft
nicht einmal mehr auf die
Kernfamilie”, sondern nur mehr
auf das glückliche, tüchtige
Paar zugeschnitten. Dabei sollte
nicht übersehen werden, daß auch
Intimbeziehungen inzwischen
längst zum Experimentierfeld
elektronischer, virtueller
Wirklichkeiten geworden sind,
sodaß die demonstrierte
Zweisamkeit vermutlich nur noch
eine galante Konzession an
antiquierte Vorstellungen und
animalische Relikte darstellt.
Es versteht sich von selbst, daß
unter derartig wüsten
Umweltbedingungen ein Leben ohne
die geschilderten Systeme im und
ums Haus” kaum erträglich sein
dürfte. Doch ist es mit diesen
Fortschritten besser zu
ertragen? Sind in derartigen
Entwürfen Technikfolgen,
encounters of a third kind”,
in die Überlegungen
miteinbezogen und
verantwortungsvoll berücksichtgt
worden ?
Eine Studie, die in einem halben
Dutzend europäischer Länder und
in USA durchgeführt wurde und
sich mit den Auswirkungen von
Telearbeit befaßt kommt zu
folgenden Ergebnissen:
Ein gerade für dieses Symposium
wichtiges Ergebnis war, daß die
erträumte Aufhebung der Trennung
von Arbeit und Freizeit in der
Praxis des Alltags weniger
Freude beschert als erwartet
wird. Eine erste Konsequenz
daraus ergibt sich bereits für
Architekten, denen bei der
räumlichen Gestaltung der neuen
Heime die Aufgabe zufällt, beide
Bereiche klar von einander zu
trennen.
Dies Ergebnis steht in
unmittelbarem Zusammenhang mit
den in unserer Kultur
vorherrschenden Vorstellungen
von Zuhause” und Privatheit”.
Das Zuhause wird als
persönliches Territorium
betrachtet und als ein
erweitertes Selbst. Seine
Bedeutung ergibt sich erst aus
einem Wechselspiel von
Öffentlichkeit und Selbst,
Offenheit und Zurückgezogenheit.
Das Heim besitzt demnach eine
tiefe psychologische und
sozio-kulturelle Bedeutung. Es
muß daher einen Schutz vor
Einsicht und Ablenkungen,
Hintergrundlärm und
unerwünschten Störungen bieten.
Es ist ferner ein Ort der
Entspannung, dessen Eigenschaft
durch jemand, der einer
beruflichen Tätigkeit nachgeht,
empfindlich gestört wird.
Arbeitsbereich und Privatbereich
müssen demnach getrennt bleiben.
Ein weiteres Ergebnis der
Befragung war, daß die Majorität
der Angaben eine verminderte
Freizeit ans Tagelicht förderte
und viele Telearbeiter” sich
über übermäßige Isolation und
Vereinzelung beklagten. Die
Studie empfiehlt daher, daß der
Arbeitsraum so plaziert werden
sollte, daß visueller Kontakt
mit der Außenwelt besteht. Ich
meine hingegen, daß das nicht
genügt, und statt dessen
kommunale Einrichtungen für
Telearbeit geschaffen werden
sollten, Heim und Arbeitsplatz
also auch in Zukunft getrennt
bleiben sollten. Meine
diesbezüglichen Argumente für
die Beibehaltung der Trennung
werden nachgereicht.
Ein weiteres Ergebnis ist
gleichfalls unerwartet, besagt
es nämlich, daß die eingesparte
Fahrzeit vielen fehlt. Das kommt
daher, daß diese meistens
zusätzlich anderweitig genützt
wird, eine Vielzahl von
Aktivitäten während der Fahrt
abgewickelt wird, zu denen vor
allem wieder soziale Kontakte
zählen. Telearbeiter sehen sich
veranlaßt diese Erledigungen und
Kontaktnahmen quasi in einem
Extraposten ihres Zeitbudgets
unterzubringen, sodaß es
fraglich wird, ob sich insgesamt
überhaupt ein Zeitgewinn ergibt.
Interessant ist auch, daß die
prognostizierte Ausweitung der
Tätigkeitsfelder bei empirischer
Überprüfung nicht feststellbar
ist, sondern eher das Gegenteil,
insbesondere in Hinblick auf
kulturelle Aktivitäten, wie
Theater- oder Konzertbesuche.
Kompensatorisch dafür läßt sich
ein gewisser Zuwachs an
nachbarschaftlichen Kontakten
registieren.
Das allgemein feststellbare
Phänomen der Zunahme an sozialer
Isolation und der Beschränkung
der normalen Muster sozialer
Interaktionen wird durch
Teleheimarbeit nachhaltig
eingeschränkt und trifft dabei
insbesondere Frauen. Die
scheinbare gegebene Flexibilität
der Zeiteinteilung etwa zwischen
Kinderbeaufsichtigung und
bezahlter Arbeit erweist sich
als keine geringe Gefahr, indem
gesellschaftlich etablierte
Ordnungen von Raum und Zeit
aufgehoben werden und das Gefühl
der Isolierung verstärkt wird.
Daraus resultierende
Desorientierung geht soweit, daß
es bereits Verhaltensanleitungen
dafür gibt, wie sich ein
Teleheimarbeiter zu verhalten
hätte. Dazu zählen
Disziplinarstrategien, wie
selbsttätige, rigorose
Zeiteinteilung was Pausen,
Arbeitsbeginn und Ende, etc.
betrifft. Aber auch auf
dieNotwendigkeit der weiteren
Beachtung der Regeln üblicher
Bekleidungsvorschriften und
Körperpflege wird verwiesen,
weil sich offensichtlich als
Folge der zunehmenden Isolation
auch hier eine Verwahrlosung
einstellt, die ihrerseits wieder
auf Selbstwertgefühl und
Lebenseinstellung negativ
zurückwirkt.
Diese Tendenzen werden weiters
dadurch verstärkt, daß es im
allgemeinen nicht geschätzt
wird, wenn beide Partner einer
Ehe oder Lebensgemeinschaft
zuhause arbeiten. Dieses
empirische Ergebnis hängt
sicherlich auch mit den
architektonischen
Voraussetzungen zusammen, unter
denen zwei Personen in einem
regulären, urbanen Haushalt im
allgemeinen leben. Aber unter
den üblichen Voraussetzungen
scheint die Tendenz weit
verbreitet zu sein, daß die alte
Rollenteilung von Frau am Herd,
Mann außerhalb des Heims tätig
nun in eine ähnliche umschlägt,
wo der Herd durch Terminal oder
PC ersetzt wird.
Man kann daher zusammenfassend
sagen: ... technological
developments and the increase in
telehomework which are occurring
are not simply a shift in
emphasis or direction. They
represent a fundamental,
qualitative change. (E.Köhler,
et.al., 1988)
Dieser qualitative Wandel ist
dabei beides: Ergebnis und
Verstärker eines in der
gesellschaftlichen Entwicklung
sowieso angelegten Trends zur
Zunehmenden Isolierung und
Auslagerung von Arbeitskräften.
Es wächst die einsame Masse”
(D. Riesman, 1982) mit
zunehmender Beschleunigung.
Diese Entwicklung ist keineswegs
positiv, wobei ich mich beeile,
nochmals zu betonen, daß die
Ingenieure keineswegs
Verursacher dieser Entwicklung
sind, aber ihre Beschleunigung
maßgeblich verstärken.
Können technische Lösungen
soziale Entwicklungen aber
beschleunigen und verstärken, so
müssen sie auch in der Lage
sein, das Gegenteil zu bewirken.
Es ist bekannt, daß technische
Problemlösungen niemals nur eine
Realisationsvariante besitzen,
sondern immer das Ergebnis einer
Serie von Entscheidungen und
Auswahlschritten darstellen, bei
denen eine Vielzahl
nicht-technischer Überlegungen
und Einstellungen
mitberücksichtigt werden. Wir
nehmen es zB. zwar als
selbstverständlich hin, daß
ökonomische Kalküle in solche
Entscheidungen eingehen, wenn
etwa bestimmte optimale
Werkstoffe aufgrund ihrer Kosten
durch weniger geeignet ersetzt
werden, die billiger sind. Aber
genauso gehen auch politische
Einstellungen oder ästhetische
Gesichtspunkte ein und es
könnten auch ethische und
moralische Überlegungen die
endgültige Ausprägung von
Technologien mitbestimmen.
Akzeptieren wir diese
prinzipielle Plastizität
technischer Lösungen, dann
sollten wir uns die angestrebte
Allianz zwischen Architektur und
Informationstechnologien im
Lichte des Gesagten nochmals
genauer ansehen.
Wenn der Trend zur Vereinsamung
und Isolation zu
gesellschaftlichen Auswirkungen
führt, die nicht wünschenswert
sind, und diese Tendenzen durch
massierte Verwendung von
Telekommunikation im Arbeits-.
Bildungs- und
Unterhaltungsbereich noch
verstärkt werden, dann muß diese
Potentialität von Anbeginn an
Berücksichtigung finden. Es
handelt sich ja dabei um
offensichtlich tiefgreifende
strukturelle Veränderungen in
allen Lebensbereichen - von der
Kultur bis zum Umgang mit der
Natur, von der industriellen
Produktion bis zum privaten
Haushalt. Damit ergibt sich aber
zwangsläufig auch ein
Perspektivenwechsel in der
Wissenschaft. Es wird die
interdisziplinäre Zusammenarbeit
nicht nur zwischen Architektur
und Informatik, sondern auch
zwischen diesen und den
Sozialwissenschaften notwendig,
wobei auch hier ein Schritt vom
erhobenen Zeigefinger” zum
tätigen Mitwirken bei der
Gestaltung getan werden muß. Das
wird umso mehr bedeutsam, als
die sich ankündigende
Industrialiserung der Produktion
und der Verbreitung von Wissen
Konsequenzen zeitigen wird, über
die sich Techniker allein wenig
Vorstellungen machen können. Ich
erwähne in diesem Zusammenhang
nur die mit Gewißheit im Konnex
von Massenproduktion
auftretenden Modeströmungen”,
die im Bildungsbereich zu
massiver Desorientierung führen
müssen.
Doch kehren wir zurück zur
Architektur. Schon eingangs
wurde die Architektur als eine
Kunst bezeichnet, die das
Gegenteil der Telekommunikation
verwirklicht, nämlich die
Herstellung von Nähe. Nicht nur
Einfamilienhäuser erreichen
diesen Zweck, auch Kirchen,
Bürogebäude oder Markthallen und
öffentliche Räume, wie etwa
Agoren, dienen diesem Zweck. Es
bleibt zwar unbestritten, daß
Architekten auch Gefängnisse und
ähnliche Anstalten schaffen, in
denen die Einsässlinge von
einander isoliert sind. Aber
selbst da werden sie zusammen
gehalten und zu einer
pervertierten Gemeinschaft
gemacht. Architektur erzeugt
soziale Nähe und
Identifikationen selbst dort, wo
sie Wände errichtet.
Die Informatiker hingegen
erzeugen Ferne, auch wenn sie
glauben, daß durch ihre
Tätigkeiten die Entfernungen
schmelzen, erzeugen sie Distanz
und Trennung.
Ich ahne, daß ich diesen Punkt
verdeutlichen muß, obwohl alles,
was ich bisher über Telearbeit
gesagt habe, eigentlich schon
illustrativ genug wäre.
Selbst im Zeitalter der
Breitbandkommunikation, der
interaktiven Medien und
meinetwegen sogar holografischer
Bildtelefone, wie sie im
EPCOT-Center in Florida
phantasiert werden, sprechen
diese Medien nur die Fernsinne
an. Diese werden nicht von
ungefähr so bezeichnet.
Geruchs-, Geschmacks- und
Tastsinn bleiben im Prozeß der
Telekommunikation ungereizt und
damit außerhalb des
televermittelten sozialen
Bezugs. Das wird sich auch über
jene neuesten Technologien kaum
ändern lassen, die mit Hilfe von
Aerosolen und anderen
Surogaterlebnissen diesem Mangel
Abhilfe verschaffen wollen. Für
geraume Zeit wird zweifellos
gelten, daß Telekommunikation
nicht in der Lage sein wird, die
Aura einer sozialen Beziehung zu
transportieren. Das haben etwa
die beobachteten
Verhaltensveränderungen bei der
Einführung von elektronischer
Post recht deutlich gemacht.
Nicht unerwähnt darf in diesem
Zusammenhang auch bleiben, daß
es mit der umfassenden
Einführung von Telekommunikation
zu nicht unbedeutenden
Machtverschiebungen und zur
zwangsweisen Bildung neuer
Machtzentren kommt, die gepaart
sind mit entsprechenden
Autonomieverlusten.
Anschauliches Beispiel dafür
wäre die zunehmend
eingeschränkte
Entscheidungsfreiheit eines
Kapitäns auf hoher See, aber
auch die Durchsetzung und
Organisation von
Arbeitnehmerinteressen sind
davon betroffen.
Ein gleichfalls nicht zu
unterschätzender Aspekt
virtueller Allgegenwart” ist die
damit einhergehende Amputation
von Erfahrung und
Begreifbarkeit, die sogar im
wissenschaftlichen Bereich, etwa
durch die sich weitverbreitende
Tendenz Experimente durch
Simulationen zu ersetzen, nicht
zu unterschätzende Probleme der
Überprüfbarkeit aufwerfen wird (Schmutzer,
1987).
Das zuvor geschilderte Spezfikum
telegener Kommunikation bedeutet
auch in anderer Hinsicht mehr
als nur den Verlust eines
Schnörkels”in einer ansonsten
gelungenen Kommunikation. Die
Faschismus- und
Autoritätsforschung macht sich
nicht grundlos die Wirkungen
veränderter Nähe und Ferne für
die Messung autoritärer
Einstellungen zunutze. Denn es
ist verhältnismäßig einfach zu
behaupten, man hätte nichts
gegen Anhörige einer anderen
Rasse, Religion oder Hautfarbe,
wenn diese tausende Kilometer
entfernt nur telematisch in
Erscheinung treten. Der mögliche
Hauch von Knoblauch und die
anderen Hygienestandards bleiben
ausgeklammert oder nur als
Exotika auf Distanz wahrnehmbar.
Eine grundsätzliche Änderung der
angeblich toleranten Einstellung
tritt mit der Veränderung der
Entfernung auf. Möchten Sie
einen Türken als Nachbarn, einen
Neger als Schwiegersohn, fragen
deshalb listig die Erforscher
autoritärer Persönlichkeit. Bei
diesem switch” switched dann
meist auch die tolerante Haltung
und wird zu ihrem Gegenteil.
Nun sollte man aber auch nicht
übersehen, daß gerade jene
xenophoben Einstellungen am
liebsten dort gedeihen, wo die
Pflege der Nähe zur Maxime und
die Gewohnheiten des Alltags zur
nicht durchbrechbaren Regel
wurden. Davon weiß die
zeitgenössische, österreichische
Literatur anschaulich zu
berichten.
Zuviel Nähe schafft offenbar
genauso Probleme, wie zuviel
Ferne. Die über etwa zwei
Jahrhunderte hinweg praktizierte
Lösung dieses Dilemmas in
unserer Kultur war ein
zeitlicher Mix von Ferne und
Nähe durch die Trennung von
Arbeitsplatz und Privatbereich,
von privater Zeit und
öffentlichem Raum. Ich meine,
daß alle, die darauf Wert legen
in einer demokratischen,
funktionierenden,
menschengerechten Gesellschaft
zu leben, sorgfältig darauf zu
achten haben, daß dieser Mix von
Ferne und Nähe gewährleistet
bleibt. Es liegt an den
Architekten dafür zu sorgen, daß
Nähe und nicht asylhafte
Isolation entsteht. Und es liegt
an den Informatikern, daß diese
Nähe nicht zu eng wird, aber
auch Ferne nicht so überhand
nimmt, daß massive Entfremdung,
Entwurzelung und
Desorientiertheit daraus
resultieren.
Do Artefacts have Politics?”
fragte vor mehr als zehn Jahren
L. Winner (1980) in einem
inzwischen zum Klassiker
gewordenen Artikel und
beantwortete diese Frage mit
einem klaren Ja”. Architekten
und Informatiker sind, so wie
alle Ingenieure, auch Politiker,
auch wenn sie sich dessen nicht
immer bewußt sind. Mit Ihren
Tätigkeiten gestalten sie
Gesellschaft. Ich bitte Sie
nachdrücklich, sich dessen in
allem was Sie tun und entwerfen,
stets bewußt zu sein.
Literatur
Köhler, E., The Home as
Electronic Work Place - An
Overview of Research, in: F.
van Rijn/R.Williams (eds.),
1988, op. cit.
Mason, R., Living in
Tomorrowís Electronic Home Today,
in: F. van Rijn/R.Williams (eds.),
1988, op. cit.
Rijn, F. van/R.Williams (eds.),
Concerning Home Telematics,
Proceedings of the IFIP TC 9
Conf., 24 - 27. Juni 1987,
Amsterdam, North Holland Publ.
Comp., Amsterdam, 1988
Riesman, D., Die einsame
Masse, Rowohlt, Reinbek/H.,
1982
Schmutzer, M.E.A., Paradigma
Informatik, Manz, Wien, 1987
Winner, L., Do Artefacts Have
Politics?, Daedalus,
Winter 1980
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