I Urbane Umwelten - intelligente
Ambiente
Hegels Traum, intelligente Wesen in einem
intelligenten Universum, erfuhr eine entscheidende
Wende, als Leo Szilard seine berühmte Arbeit "Über
die Entropieverminderung in einem thermodynamischen
System bei Eingriffen intelligenter Wesen"
veröffentlichte . Hier wurde nämlich nicht nur
zwischen dem physikalischen Entropiebegriff und dem
modernen Informationsbegriff eine präzise Beziehung
hergestellt, sondern auch erstmals das Trauma von
Maxwells Dämon klar formuliert, daß künstliche
intelligente Wesen in einem dynamischen System
intervenieren. Daraus entstand der Gedanke, daß
künstliche intelligente Wesen in einem künstlichen
System intelligent intervenieren können.
Die
Interaktion zwischen System und Systembewohnern in
Form von Messungen, die zu Entropieverminderung und
-erzeugung führen, liefert erste Modelle für
künstliche Lebensvorgänge. Informationstheoretische
Modelle haben bisher danach gezielt, herauszufinden,
was bei Eingriffen, Steuerungen durch künstliche
intelligente Wesen passiert und wie sich dadurch die
Systeme ändern. Sich selbst steuernde Systeme waren
der nächste Schritt, der das Schwergewicht auf die
dynamischen Systeme selbst verlagerte. Nun ist die
Frage, was passiert, wenn wir nicht die Intelligenz
und Adaptivität der künstlichen Wesen steigern,
sondern die Intelligenz der künstlichen Umgebung,
bzw. ist die Frage, was passiert, wenn die
natürliche Umgebung durch künstliche Intelligenz
verbessert wird. Die natürliche Umgebung bleibt kein
sich selbst überlassenes mechanisches System,
sondern wird darauf abgerichtet, unsere
Lebensvorgänge zu unterstützen. In die Umgebung w
ird künstliche Intelligenz implantiert (Computer,
Sensoren, Chips), wodurch die Umgebung reaktiver und
ein Informationsaustausch möglich wird. Besonders
die künstlichen Umgebungen des Menschen wie Stadt
und Haus werden mit künstlicher Intelligenz
ausgestattet. Die Stadt ist ein paradigmatisches
Modell für ein dynamisches künstliches System, in
dem intelligente Wesen intervenieren. Mit der
fortschreitenden Technologisierung wird die Stadt
immer mehr zu einem von der künstlichen Intelligenz
der Computer unterstützten dynamischen künstlichen
System (vom Straßenverkehr über das Reisebüro bis
zum Terminal im Haushalt). Die Systembewohner, die
Menschen in der Stadt, interagieren immer mehr mit
einer computergesteuerten künstlichen Umwelt. Urbane
Umwelten werden immer mehr zu intelligenten
Ambienten.
Diese neue Vorstellung führt dazu, daß wir nicht
mehr an zentrale, am cartesianischen Subjekt
orientierte Steuermechanismen in Form menschlicher
Körper denken, z.B. Roboter, welche mit gr0ßem
Aufwand die verzweifelte Aufgabe übernehmen sollen,
das multifunktionale komplexe Verhalten des Menschen
zu imitieren, sondern daß wir an eine Vielzahl von
kleinen "künstlichen Wesen" denken, die nur lokale
Aufgaben erfüllen sollen. Die dezentralisierten
modernen Technologien dezentralisieren die
postmodernen Städte. Ein Schwarm von kleinen, mit
Intelligenz begabten "künstlichen Wesen" sind in die
Umgebung dezentral eingebettet und reagieren auf das
Verhalten und die Bedürfnisse der Menschen, ob dies
nun die Lampen in einem Gebäude oder die
Verkehrssteuerung auf der Autobahn oder die
Informationen im Datennetz sind. Verstreute Heere
von "künstlichen Wesen" mit künstlicher Intelligenz
steuern die Reaktionen der urbanen Umgebung und
bilden somit insg esamt ein künstliches, mit
künstlicher Intelligenz begabtes Ambiente. Dieses
künstliche Ambiente umfaßt mehr als den Computer,
aber es inkludiert die künstliche Intelligenz des
Computers. Im intelligenten Ambiente wird der
Computer fast unsichtbar. Er wird der unsichtbare
Rechner, der die Sensoren-Technologie und das Reich
der künstlichen Sinne unterstützt. Eine ausgebaute,
im Environment implementierte, erweiterte
Sensoren-Technologie, von der künstlichen
Intelligenz des Computers unterstützt, wird auch das
Human-Computer Interface, die Mensch-Maschine
Schnittstelle ausdehnen und lockern. Die
Schnittstelle arbeitet nicht mehr direkt und lokal,
sondern telematisch und nichtlokal. Eine verstreute
computerunterstützte Sensoren-Technologie und
Millionen von Computer-Terminals bilden ein
Schnittstellenfeld, das variabel und fast unsichtbar
ist. Es breitet sich über die ganze Stadt aus. Die
Stadt wird von der "industriellen Maschine" (Tony
Garnier) zum digi talen Netz, dessen Trägermedium
die Kabel in den Bauten oder elektromagnetische
Wellen sind. Die elektromagnetischen Wellen als
Bausteine transformieren die Stadt in eine terminal
city.
An
künstlichen Umgebungen wie Flugzeug, Schiff, Auto,
Wohnung, Satellit und deren Oberflächen bzw.
Schnittstellen wie Multi- und Hypermedien, läßt sich
deutlich zeigen, wie computergestützte künstliche
Intelligenz und erweiterte Sensoren-Technologie
diese verbessern können. Sie bilden Modelle für das
Schwarm-Verhalten künstlicher intelligenter Wesen in
einem künstlichen intelligenten Universum. Unsere
Zivilisation bildet also intelligente Ambiente
heraus, die nicht allein aus Computern bestehen, die
uns bei vielfältigen Entscheidungsprozessen und
Aufgaben helfen und in Zukunft auch mehr und mehr
Maschinen bei ihren Aufgaben unterstützen werden,
z.B. den Fernseh-Apparat beim interaktiven
Fernsehen, bei Telebanking und -shopping, z.B. die
Sehmaschinen der Unterhaltungsindustrie (Video games).
Sondern intelligente Ambiente bestehen aus
künstlichen Systemen, die mit Intelligenz begabt
sind, und aus künstlichen intelligenten Wesen, die
mit ihn en intervenieren und interagieren. Die
künstlchen intelligenten Systeme bestehen natürlich
selbst zum Teil aus künstlichen intelligenten Wesen.
Wir müssen daher unterscheiden zwischen internen
künstlichen intelligenten Wesen des Systems und
externen. Der eingreifende Mensch wird selbst mit
zum System gerechnet. Unsere Umgebung wird immer
mehr aus solchen intelligenten Umwelten bestehen,
die autonom handeln können. Künstliche intelligente
Wesen in solchen künstlichen Systemen handeln wie
autonome Agenten. Intelligente Ambiente sind also
künstliche Umwelten, die künstliche Intelligenz
besitzen. Die natürliche Umwelt, an die der Mensch
sich angepaßt hat, verwandelt sich immer mehr in
eine künstliche Umwelt, bestehend aus Medien und
Maschinen, die sich an den Menschen anpassen und
intervenieren können. Die intelligenten Umwelten aus
computergestützten Maschinen, Medien, Multi- und
Hypermedien werden immer komplexer, die künstlichen
intelligenten Wesen in Form von Computern und
computergestützten Sensoren und Produkten werden
zahlreicher, sodaß der Mensch sogar intelligente
Maschinen braucht, um mit der künstlichen
intelligenten Maschinen- und Medienumgebung
kommunizieren zu können. Die Technik verwandelt sich
vom Prothesen-Park und Produkt-Ensemble zu einer
umfassenden, vollständig vernetzten, künstlichen
intelligenten Umwelt. Die interaktiven Modellwelten
der Cyber Art und intelligente Gebäude zeigen en
miniature diese grundlegende Veränderung unserer
Umwelt zu Ende des 20. Jahrhunderts von einer
natürlichen sich selbst überlassenen Umwelt zu einer
künstlichen Umwelt, die künstliche Intelligenz
besitzt, von einer passiven Umgebung zu einem
interaktiven Partner 2.
Die Stadt wird vor allem zu einer mit künstlicher
Intelligenz begabten Maschinen- und Medienumgebung,
zu einer vernetzten künstlichen intelligenten
Umwelt.
II Virtuelle Architektur
3
Der
Begriff virtuelle Architektur läßt sich aus zwei
Quellen erklären. Die eine ist die Schnittfläche von
Architektur und Medien, die andere ist die
Systemtheorie komplexen Verhaltens. Christopher G.
Langton schreibt in der Einleitung zu dem von ihm
herausgegebenen Buch "Artificial Life": "Die
einfachste Art und Weise, zwischen linearen Systemen
und nichtlinearen Systemen zu unterscheiden, ist
darin zu sehen, daß bei linearen Systemen das
Verhalten des Ganzen nur die Summe des Verhaltens
der Teile ist, während bei nichtlinearen Systemen
das Verhalten des Ganzen mehr ist als die Summe des
Verhaltens der Teile." Diese Formulierung stammt aus
der Einsicht, daß Leben nicht eine Eigenschaft der
Materie ist, nicht etwas ist, das der Materie
inhärent ist, sondern ein Resultat der Organisation
der Materie, eine Eigenschaft der Form. Daher ist es
bei Systemen einer bestimmten Komplexität - wie sie
nichtlineare Systeme darstellen - nicht möglich, die
Teile in Isolat ion zu analysieren und aus ihrer
Kombination ein Verständnis des ganzen Systems zu
gewinnen. Die wesentliche Eigenschaft bei
nichtlinaren komplexen Systemen ist es, daß ihre
primären Verhaltensweisen Eigenschaften sind, die
aus der Interaktion zwischen den Teilen entspringen
und nicht aus den Eigenschaften der Teile selbst.
Diese systemcharakterisierenden Eigenschaften, die
auf dieser Interaktion basieren, verschwinden daher
notwendigerweise, wenn die Teile unabhängig
voneinander studiert werden, da es nicht die Teile
selbst sind, sondern nur ihre Interaktion, welche
die Systemeigenschaften konstituieren. Daher werden
diese Teile virtuelle Teile genannt. Bewohner und
Werk sollten in einem Bauwerk solche virtuelle Teile
eines komplexen Systems der Interaktion werden. Wenn
man die physikalischen Teile isoliert, dann hören
die virtuellen Teile auf zu existerien, denn die
virtuellen Teile, die Verhaltensweisen, sind von den
nichtlinearen Interaktionen zwischen den
physikalischen Teilen in ihrer Existenz abhängig.
Virtuelle Teile sind "die fundamentalen Atome und
Moleküle des Verhaltens" (Ch.G.Langton)
4.
Dieser systemtheoretische Zugang zum Verhalten
komplexer Systeme wird nun auf den Gebrauch von
Architektur und Medien (visueller Information)
übertragen. Der Bewohner und sein Environment, eine
künstlich errichtete Architektur, sollen eine Art
nichtlineares komplexes System darstellen, wo aus
der Interaktion der architektonischen Module und des
Betrachters ein lebendes System entsteht. Der
Bewohner und die Architektur bilden also selbst
virtuelle Teile eines dynamischen, flexiblen
Systems. Die wesentlichen Eigenschaften entstehen in
der Interaktion zwischen ihnen. Es kommt also bei
dieser Architektur nicht auf die Materie an, sondern
auf die Organisationsform. Architektur und Bewohner
bilden durch ihre Interaktion ein System künstlichen
Lebens. Die "programmierte Architektur" eines
Leonardo Mosso (Turin) von 1969 hat bereits viele
Positionen einer virtuellen Architektur
eingefordert:
-
"für eine architektur als organismus
-
für die selbstverwaltung der form
-
das gedächtnis des computers
-
für die programmierte
-
und direkte von ihren bewohnern geformte stadt
-
informativ unbestimmterweise programmierte
architektur
-
wo jeder teil des ganzen
-
objektiv die gleiche bedeutung hat
-
und folglich den gegenseitigen austausch im rahmen
eines superkomplexen
-
jedoch absolut kontrollierbaren systems mit
möglichen mutationen akzeptiert"
5.
Er
hat seine These auch auf ein "programmiertes
stadt-territorium" ausgedehnt. Meine eigenen
Versuche einer sich selbst programmierenden
computergestützten Architektur, einer Architektur
autonomer Agenten mit genetischen Algorithmen,
weisen erstaunliche Ähnlichkeiten auf.
Diese Mathematisierungen des architektonischen
Raumes hat in der postmodernen Architektur zu
hochkomplexen geometrischen Gebilden und Gebäuden
geführt, die unter Anwendung der
Katastrophen-Theorie René Thoms und der Philosophie
der Falte von Gilles Deleuze entstanden. Siehe die
Architektur von Peter Eisenmann (Rebstock Park in
Frankfurt, Alteka Bürogebäude in Tokyo), Frank Gehry
& Philip Johnson (Lewis Residence in Cleveland),
Frank Stella (Museum der Sammlung Hoffmann in
Dresden), Bahran Shirdel (Nava Convention Center in
Nava, Japan) 6.
Dabei ist eine zweite Erfahrung der Theorie
komplexen Verhaltens zu beachten, nämlich das
Verlassen einer zentralen Kontrollmaschinerie.
Komplexe Systeme - wie das Leben selbst oder die
Intelligenz - haben den Begriff einer zentralen
globalen Kontrolle dispensiert, wie z.B. eine
rotierende Trommel oder einen Motor, und bauen auf
Mechanismen einer verteilten Kontrolle des
Verhaltens auf. Die lokale Bestimmung des Verhaltens
mit lokalen Regeln ist f ür die Erzeugung komplexen
Verhaltens eher geeignet als die Anwendung komplexer
globaler Regeln. Es gibt kein Rom mehr als zentrale
Instanz, sondern die postmoderne Welt besteht aus
vielen lokalen dynamischen Systemen. Das hat den
Vorteil, daß früher, wenn der zentrale Motor
ausfiel, das Reich zusammenfiel, daß hingegen bei
vielen lokalen Motoren ein System weiterlebt, auch
wenn einige Motoren ausfallen. Das erklärt auch die
Heterogenität unserer postmodernen Kultur, wo der
Kosmos zu einer Art Konsum(Laden) wird. Früher, bei
zentraler, globaler Kontrolle, war ein Kunstwerk von
Michelangelo nur in der Metropole, z.B. in der
Sixtinischen Kapelle, zu sehen, heute kann man ein
Bild von Ad Reinhardt sowohl in New York wie auch in
der sogenanten Provinz, z.B. in Baden bei Wien,
hängen. Dieses scheinbare Chaos ist aber nur das
Ergebnis der Virtualität des Verhaltens
hochkomplexer Systeme. Bausysteme sollten von
gleicher Komplexität sein und daher zum Beispiel die
Struktur der Zentrik aufgeben.
Die
Video-Technologie zerstört mit ihren Rewind-,
Forward- und Repeat-Tasten die lineare Zeit. Zeit
wird im Video-Dom ein Muster kombinatorischer
Fiktionen. Die Logik des Kombinatorischen erstreckt
sich aber auch auf den Raum. Denn der Raum ist
sozusagen der Leib der Zeit. Wird die Zeit
fragmentarisiert, so auch der Raum. Zumal wir es in
der elektronischen Techno-Welt ohnehin mit einem
temporalisierten Raum zu tun haben, mit einem Raum,
der in Zeiteinheiten (statt Raumeinheiten) gemessen
wird. In dieser kombinatorischen Logik von spatialen
und temporalen Mustern zersplittert, zerbricht die
visuelle Pyramide und multipliziert sich zu einem
Hyperkubus, zu einem Polyhedron, zu einem
dekomponierten Torso, zu einem Rössler-Band oder
einem anderen chaotischen Attraktor. Siehe den
Dekostruktivismus in der Architektur.
Meine Absicht ist es also, Präliminarien zu einer
virtuellen Architektur zu schaffen, welche einen
zentralen Kontrollmechanismus mit globalen Regeln
aufgegeben hat und eine lokale Determination des
Verhaltens des Betrachters auf lokaler Ebene
ermöglicht.
Der
berühmte, von Alexander Dorner initiierte "Raum der
Abstrakten" von El Lissitzky im Sprengelmuseum
Hannover (1927) ist ohne einen aktivierten, mobilen
Betrachter in seiner Gestalt gar nicht erfaßbar.
Alexander Dorner schrieb über "Die neue
Raumvorstellung in der bildenen Kunst" bereits 1931:
"Das traditionelle Raumbild ist das vor einem halben
Jahrtausend geborene perspektivische, in dem von
einem festen absoluten Standpunkt aus der Raum als
unendliche, homogene, dreidimensionale Ausdehnung
... angesehen wird. Das entscheidende Novum des
Kubismus ist die Verdrängung des absoluten
Standpunkts durch den relativen. Die Künstler
empfinden ... als das Wesentliche des Raumes ...
seine unwirkliche Allseitigkeit ... und daß man im
Raum wandern muß, um ihn wirklich dreidimensional zu
erleben. So verschwindet im weiteren Verlauf der
abstrakten Kunstentwicklung, so im späten
Konstruktivismus, die absolute Ausdehnung der Körper
(Lissitzky). Die Materie wird schlie&szli g;lich in
reine Flächen und Linien aufgelöst, die, masselos
und durchsichtig, sich durchdringen. So entsteht ...
der Raum als Durchkreuzung von Bewegungs- und
Energieströmen". Perspektive, Proportion und
Skalierung werden zu frei flottierenden Werten. Die
elektronische Architektur muß also davon ausgehen,
daß in ihr die perzeptuelle Situation des
Betrachters anders ist als in den Orten des realen
Raumes und daß die neuen Raumvorstellungen, die
durch eine zunehmend immaterielle visuelle Technik
entstanden sind, in ihr selbst abgebildet werden
müssen. Es wird also in der Tat Bewegungsströme des
Betrachters als virtuellen Teil geben, wenn er im
Raum oder im Bild (im Cyberspace) wandert und auf
den masselosen und durchsichtigen Bildschirmen das
Konzert der reinen Flächen und Linien erlebt. Es
gibt in der virtuellen Architektur keinen festen
absoluten Standpunkt, weder für den Benützer noch
die Produkte. Der Ton kommt nicht mehr aus einer
festen Quelle, sondern folgt dem Bewohner durch die
Räume des Hauses. Körperlose Informationen
durchdringen den Raum, die Sensoren schaffen eine
"unwirkliche Allseitigkeit". Das Haus wird zu einem
Datenanzug, de r lokal steuerbar ist: An jedem Ort
des Hauses bin ich mit der Gesamtheit des Hauses in
Kontakt, sogar außerhalb des Hauses. Das Gleiche
gilt für die Stadt. Die Stadt wird zu einem
Datenanzug, der lokal steuerbar ist: an jedem Ort
der Stadt ist ihr Bewohner mit der Gesamtheit der
Stadt in Kontakt, sogar außerhalb der Stadt.
In
der idealen virtuellen Stadt (anders als in der
perspektivisch beherrschten Citt Ideale der
Renaissance) kann der Benützer frei umherwandern,
seine Aufmerksamkeit darf oszillieren, sein Blick
darf dezentriert abschweifen, und die visuelle
Pyramide darf nach lokalen Bedürfnissen und Regeln
verformt werden. Der Flaneur wird zum Datensurfer,
zum Hitch-Hiker der Datenautobahnen. Der Bewohner
interagiert in der virtuellen Stadt nach lokalen
Regeln in einem nichtlinearen System. Stadt und
Betrachter, Bewohner und Gebäude, sind also
virtuelle Teile einer Interaktion, die der Dynamik
der Isomorpie folgen.
Eine wahre mediale Architektur ist eine solche, die
auf Interaktivität Wert legt. Wenn Stadt,
Information und Benützer bewegliche virtuelle Teile
eines komplexen dynamischen Systems bilden, das
Zerstreuungen, Zufällen, Bifurkationen,
Dezentralisierungen unterworfen ist, gilt diese
Virtualität natürlich nicht nur für den Raum und für
die Sehmaschinerie, sondern auch für die Zeit. Die
Vision öffnet sich nicht nur dem virtuellen Raum,
diesem Raum ohne Raum, diesem cartesianischen,
mathematisierten Raum, sondern die Vision öffnet
sich auch einer diachronen, virtuellen Zeit.
Zufällige Irrfahrten auf dem feinen Gitter der Zeit
und reversible Zeitreisen werden in der medialen
Architektur möglich. Im virtuellen Techno-Raum
entfaltet sich auch die Techno-Zeit, welche eine
Maschinen-Zeit ist. Wie aber die Sehmaschine selbst
als mechanisches System zerbrochen und bloß
virtueller Teil innerhalb der Dynamik des Sehaktes
geworden ist, so ist auch die Maschi nenzeit nur ein
virtueller Teil der Thermodynamik des Sehens. Die
Techno-Zeit ist also ebenfalls stochastisch,
nonlinear, lokal.
Computeranimationen über stürzende Gegenstände,
karambolierende Autos und andere Katastrophen der
Schwerkraft können als künstlerische Experimente
gegen die Schwerkraft verstanden und mit einer
Architektur jenseits der Gravitation verglichen
werden. Virtuelle Architektur ist also in der
dekonstruktiven Architektur vorgezeichnet.
III Online-Welten: Endophysik - der
Raum des inneren Beobachters
Die
Frage, wie sieht eine Maschine oder ein System aus,
wenn der Beobachter innerhalb dieser Maschine oder
als Teil dieses Systems operiert, ist der
Endo-Zugang zur Welt. Der Endo-Zugang bedeutet die
Betrachtung der Welt als innerer Beobachter,
bedeutet die Beobachter-Relativität der Welt,
bedeutet, die unvollständige Beschreibung ihrer
verzerrten und gekrümmten
Gleichzeitigkeits-Hyperflächen zuzugeben. Die
Elektronik legt diesen "endo-approach" zur Welt
nahe. Echte elektronische Kunst geht daher nicht vom
Raum der klassischen Physik, vom natürlichen Raum,
vom Wahrnehmungsraum aus, sondern vom Raum der
Endophysik, der Blindsicht-Experimente, der
Simulation, der Virtualität. Die im Raum der
klassischen Physik des 19. Jahrhunderts verankerte
Skulptur geht von der Kontinuität, vom menschlichen
Körper, von der vollständigen Sichtbarkeit aus. Die
zeitgenössische Raumkunst hingegen geht von
nichtlokalen Phänomenen, von der Maschine und vom
dislozierten Gegenst and, von der Sprache, von der
immateriellen Wellenform, von der Zahl, von den
verzerrten und gekrümmten Raumschichten, von der
Beobachter-Relativität aus. Die Elektronik bildet
das Endo-Tor zur Welt. Nun bedarf es also einer
Architektur, die das Endo-Tor zur elektronischen
Welt benützt. Die Stadt im telematischen Raum des
20. und 21. Jahrhunderts geht nicht vom Körper aus,
nicht von der Kontinuität und von der vollständigen
Sichtbarkeit, sondern von variablen Zonen der
Visibilität, von der Diskontinuität, von der
Sprache, von der Perforation, von nichtlokalen
Phänomenen, von der Maschine und vom dislozierten
Gegenstand, von der immateriellen Wellenform, von
der Zahl, von den verzerrten und gekrümmten
Raumschichten, von der Beobachter-Relativität.
Der
neue urbane Raum der elektronischen Welt separiert
nicht mehr zwischen Außen- und Innenräumen, sondern
in ihm sind Außen- und Innenräume perforiert,
diskret durchdrungen. Der Raum des inneren
Beobachters, der Endo-Raum, hat eine zweite
exo-objektive Seite. Der Raum des äußeren
Beobachters hat eine zweite endo-objektive Seite.
Diese zwei Ebenen der Realität, Exo und Endo, als
Produkt der Beobachter-Relativität der Welt, statt
Außen und Innen, drehen Außenräume jederzeit in
Innenräume um und umgekehrt. Die Wohnung wird zur
Stadt, das Haus zur Wohnung, die Stadt zum Haus
(siehe Frank Gehry). Die Hitch-Hiker und Hi-Jacker
der Daten-Autobahnen surfen durch die globalen
Netzwerke von Stadt zu Stadt. Sie leben im
Schattenreich der Online-Worlds, als innere
Beobachter im unsichtbaren Terrain der Daten, im
Datenraum der Matrix, der endophysikalisch ist..
IV Viable Architektur
Hans Hollein hat 1968 in seinem Manifest "Alles ist
Architektur" gefordert, die Architekten sollen
endlich "aufhören, nur in Materialien zu denken".
Ein Echo dieser utopischen Architektur, die niemand
versucht hat, eingeschlossen ihn selbst, finden wir
in der gegenwärtigen dekonstruktiven Architektur.
Deren Kampf gegen die Schwerkraft, die Überwindung
der Gesetze der Materie, ist noch ein Rest jener
utopiesüchtigen Zeit. Die eigentliche Botschaft der
Dekonstruktion wäre aber die Mathematisierung des
Raumes als Teillösung einer Architektur der Medien.
Der cartesianische Kubus, der Würfel, als Grundmodul
der Architektur, wäre dabei zwar noch der
Ausgangspunkt, erschiene aber als Objekt, das
mathematisch transformierbar und verzerrbar wäre.
Diese Transformationen hätten das Ziel, die
statische Architektur zu immaterialisieren, d.h. in
ein dynamisches System zu verwandeln, das
kontextabhängig ist und lokal gesteuert werden kann.
Die Architektur würde so zu einem Medium, das sich
stets verändert, zeitlich und räumlich, eine
kontextgesteuerte Ereigniswelt. Die üblichen
Faktoren der Architektur, Energie, Wetter, Wärme,
die üblichen Elemente Tür, Stiege, Fenster, Fassade
würden zu Variablen, die selbst den Kontext bilden
oder kontextuell gesteuert werden. Das Haus wird zu
einer Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt,
Architektur wird zu einer Interface-Technologie,
welche die Frage beantwortet: wie kann ich die
Bedürfnisse eines Bewohners, der selbst ein lokales
Steuersystem darstellt, mit den variablen
Schnittstellen zur Außenwelt (vom Fenster bis zum
Telefon, von Menschen bis zu Wetter) möglichst
mehrdimensional, multifunktional, intermedial
verbinden. Aus der Variabilität der
architektonischen Elemente, aus der Virtualität der
gespeicherten Informationen erwüchse ein Gebäude,
das lebensähnliches Verhalten zeigt: Viabilität. Das
Gebäude als ein lebendes dynamisches System sollte
sich aufgrund des Inputs der Bewohner und der Umwelt
verändern können. Die viable Architektur ist eine
Black Box, wo es die alte Gleichung zwischen Umwelt
und Bewohner nicht mehr gibt. Der Benützer kann
Input und Output sein, ebenso können das Haus und
die Umgebung Input und Output sein. Durch diese
mehrdimensionale Input-Output-Relation, deren
Vorzeichen sich stets ändern, ändert sich aber auch
die Struktur der Black Box; sie kann sich von einer
Camera Obscura zu einer Camera Lucida verwandeln,
von einer geschlossenen Black Box in einen offenen
White Cube.
Das
Haus wird zum Interface zwischen Bewohner und
Umwelt. Die Umwelt wird durch Computerunterstützung
intelligenter. Die Architektur der Medien, der ich
1989 den Namen virtuelle Architektur gab, war die
erste Auflösung der Materialität der Architektur
(3). Die Architektur sollte aus ihrer Invarianz
erlöst werden, aus ihrer Trägheit.
Beobachterrelativität, Kontextsteuerung und
Schnittstellen-Interdependenz sollten die
Architektur bestimmen. Das Haus sollte der Ort einer
"intermedialen Aktivität" (G.J.Lischka) werden. Dies
ist nur möglich durch den Einsatz von High-Tech und
digitaler Technologie. Ein Auto weiß mehr über
seinen und meinen Zustand als eine Wohnung. Im
Grunde steht die Architektur hinter dem Küchenherd
zurück. Die Architektur als Gehäuse beherbergt
Geräte, die intelligenter sind als sie. Daher
fordern wir intelligente Gebäude, Architektur als
ein intelligentes Ambiente, das auf die lokalen
Eingaben der Bewohner reagiert u nd intelligent
Zustandsveränderungen durchführt. Interaktivität
zwischen Bewohner und Architekten, beide als
korrelierte Teile eines dynamischen Systems - das
ist viable Architektur.
VilÇm Flusser hat in einem Referat zum 1. Symposium
"Intelligent Building" in Karlsruhe 1989 über
intelligente Gebäude aufklärend gesagt: "Die
industrielle Revolution fußte auf wissenschaftlichen
Theorien bei der Werkzeugerzeugung. Es gab aber
damals keine verwendbaren Theorien für Belebtes:
Ochsen konnten technisch nicht hergestellt werden.
Darum begannen die Maschinen, die Schakale und
Ochsen zu verdrängen. Jetzt beginnen wir, über
Ansätze zu verwendbaren biologischen Theorien zu
verfügen. Wir können jetzt zum Beispiel einige
Funktionen des Nervensystems in Unbelebtem
simulieren. Die Maschinen werden intelligenter. Das
sind nur Ansätze, und bald werden wir auch belebte
Werkzeuge herstellen können, künstliche Lebewesen.
Gebäude waren bisher unbelebte Maschinen. Sie werden
intelligenter werden. Man wird sich dessen bewußt
werden, daß sie die Haut simulieren, und künstliche
sensorische und motorische Nerven, künftig s ogar
wahrscheinlich ein Zetralnervensystem in sie
einbauen. Und in weiterer Zukunft wird man
vielleicht künstliche Lebewesen bewohnen. Die
Kommunikationsrevolution besteht im Grunde darin,
daß die Empfänger von Informationen nicht mehr zum
Sender gehen müssen, sondern daß die Informationen
an die Empfänger geleitet werden. Man muß nicht mehr
ins Theater, ins Parlament oder in die Schule gehen,
sondern man kann fernsehen, Zeitung lesen, oder an
einem Terminal lernen. Damit ist das öffentliche
Gebäude (und Stadt, Politik überhaupt) überflüssig
geworden. Und damit ist das Privatgebäude durch
materielle und immaterielle Kabel durchbrochen
worden, wird vom Öffentlichen überflutet. Die
Kommunikationsrevolution hat zwei entgegengesetzte
Schaltpläne entwickelt. Nach dem einen werden
Informationen von einem Sender ausgestrahlt und vom
frei in der Raumzeit schwebenden Empfänger
aufgefangen (Beispiel: Zeitung, Radio, Fernsehen).
Nach dem zweiten werden Informationen in einem Netz
hergestellt und übertragen, dessen Knotenpunkte
zugleich Sender sind und Empfänger (Beispiel: Post,
Telefon, Minitel, bivalente Terminale). Die erste
Schaltungsweise ist gegenwärtig vorwiegend, aber die
zweite entspricht der Anthropologie, die oben
vorgeführt wurde. Die künftigen Gebäudeentwürfe
werden sich wohl an die zweite Schaltmethode zu
halten haben und Knotenpunkte für ein dialogisches
Netz zu entwerfen haben. Wie diese Gebäude aussehen
werden (ob wie schwebende Eierschalen, ob wie
pulsierende Mikroben, ob wie von einer
elektro-magnetischen Haut umgebene
Zentralnervensysteme) ist vorläufig unvorstellbar,
und gar nicht so entscheidend."
7
Wir
bewegen uns zu langsam, daher haben wir das Auto;
wir können nicht fliegen, daher bauen wir Flugzeuge;
wir können nicht schnell und sicher genug rechnen,
daher haben wir eine Rechenmaschine. Wir sind von
Natur aus Behinderte, nur merken wir es nicht. Der
sogenannte Behinderte ist nur ein Spezialfall, der
diese allgemeine menschliche Bedingung der
Behinderung sichtbar macht. Der Ursprung der Technik
liegt in dieser universalen Bedingung des Mangels
begründet. Die Technik bildet die Prothesen, welche
die Defizite, Fehler, Mängel und Insuffizienzen des
Menschen behebt. Der Behinderte ist also die
zentrale Metapher für die Funktion der Technik, die
darin besteht, dem Menschen dort weiterzuhelfen, wo
die natürlichen Organe versagen. Der Physiker und
Kosmologe Stephen Hawking ist das beste Beispiel
dafür. Ohne die technischen Prothesen wäre dieser
wunderbare Geist verloren. Die Technik wird
avancierter und intelligenter, weil der Mensch mit
zunehmender Komplexität s einer Umgebung immer mehr
die Hilfe von intelligenten Maschinen braucht. Zumal
die Umgebung selbst immer mehr aus diesen
intelligenten Maschinen besteht. Dieses künstliche
intelligente Environment und der Mensch werden zu
einem dynamischen System der Kovarianz, wo die
technischen Apparate und die Menschen Variable
bilden, die sich gegenseitig beeinflußen.
J.C.
Maxwell, der Entdecker der elektromagnetischen
Wellen (1873), auf denen unsere ganze telematische
Zivilisation aufgebaut ist, hat 1871 das erste
künstliche intelligente Wesen beschrieben, ein
hypothetisches Wesen von molekularer Größe, das in
thermodynamischen Systemen selbständig interveniert.
Bald wurde dieses hypotetische Wesen "Maxwells
intelligenter Dämon" genannt. Die intelligenten
Dämonen von heute heißen personal computers. Heute
ist die künstliche Intelligenz der universalen
Maschine namens Computer allgegenwärtig. Auch die
Architektur realisiert, daß sie den
Paradigmenwechsel vom mechanischen zum
elektronischen Zeitalter vollziehen muß. Eine große
Palette von computergesteuerten Produkten
verschiedener Größenordnungen bildet heute ein
Environment, das intelligentes Verhalten aufweist.
Der
Computer steuert mit seiner künstlichen Intelligenz
das Verhalten der Umwelt, von der Telefonanlage bis
zum intelligenten Gebäude. Er registriert unser
Verhalten und reagiert darauf selbständig. Nicht nur
wir passen sich der Umwelt an, sondern auch die
Umwelt paßt sich uns an. Durch diese
Adaptionsfunktion wird der Computer tendenziell
unsichtbar. Er wird in die intelligenten Produkte
(von der Waschmaschine bis zur Daten-Autobahn) und
in die technische Umgebung so implantiert, daß
dieses künstliche Environment uns als scheinbar
natürlicher, weil lebender Organismus umgibt.
Die
Flugzeug-, Auto- und Schiffindustrie haben zu
Wasser, zu Lande und in der Luft, künstliche, vom
Menschen gemachte und kontrollierte Environments auf
außerordentlich hohem technischen Niveau gebaut.
Ihre gegenwärtige Absatzkrise wird dazu führen,
dieses technische Know-How auf andere Gebiete zu
übertragen. Eine andere stabile Schutzhülle,
vergleichbar den nomadischen Schutzhüllen Auto,
Flieger, Schiff, wird davon profitieren: das Haus.
Verglichen mit Flugzeugen, Autos, Schiffen, die
interaktive Umgebungen darstellen, die auf den
Menschen reagieren, ihm Mitteilungen sowohl über die
Umgebung, den Zustand des Vehikels wie den
Eigenzustand machen können, sind Häuser relativ
simple Maschinen. Die interaktive
Interface-Technologie wird in den nächsten Jahren
auf die Architektur übertragen werden. Intelligente
Gebäude mit lokalen Kontrollmechanismen werden
autonom auf die Umwelt wie auf die Bewohner
reagieren.
Die
Computerkultur steht vor einem neuen Schritt: das
intelligente Ambiente, das intelligente Haus, die
telematische Stadt. Als Ergebnis der globalen
Vernetzung durch TV, Radio, Telefon, E-Mail, Fax
etc. ist das Environment insgesamt dynamischer und
nomadischer geworden. Doch ist bisher die
Maschinen-Intelligenz meist dazu benützt worden, den
Menschen zu verbessern. Hat man bisher intelligente
Maschinen in den Menschen implantiert, so ist der
nächste Schritt die Implantation der intelligenten
Maschinen direkt in die reale Umgebung der Stadt,
z.B. Steuerung des Verkehrs. Die
Maschinen-Intelligenz wird die Umgebung verbessern,
intelligenter machen. Dadurch wird die reale Umwelt
dynamischer und interaktiver auf den Menschen
eingehen. Nach dem computer aided design und der
virtual reality kommt das computer aided environment
und die intelligente, interaktive Umwelt, die von
der künstlichen Intelligenz der vernetzten
Computerterminals unterstützte Stadt: terminal city.
Diese von Maschinen-Inte lligenz unterstützte urbane
Umgebung wird intelligentes Ambiente heißen. Vom
häuslichen Tron-Ambiente zur Tron-Stadt.
V Der Raum zwischen Tele und Tron:
telematische Stadt und Tron-Haus
Als
im 19. Jahrhundert aufgrund der industriellen
Revolution das Wachstum der Bevölkerung in den
Städten explodierte und so die Basis für die moderne
Massengesellschaft entstand, mußte zu
wissenschaftlichen Methoden gegriffen werden, um das
Wachstum und die Überlebenschancen der Städte
steuern und garantieren zu können. Der Begriff
Urbanismus, der um 1910 auftauchte, war der
wissenschaftliche Versuch, die Stadt als
hochkomplexe Maschine und als künstliches
dynamisches System theoretisch und praktisch in den
Griff zu bekommen. Es ließ sich nicht länger
leugnen: das Diktat der Produktivität, unter das
seit der industriellen Revolution alle
Lebensbereiche gestellt wurden, hatte zu einer
umfassenden Verstädterung der gesamten Gesellschaft
geführt, in der die Stadt selbst eine Art zentrale
Maschine darstellte.
Niemand kann die ungeheure Zahl von Operationen, die
Tag und Nacht notwendig sind, um die Energie-,
Material-, Nahrungs-, und Informationsversorgung von
Millionen von Subjekten zu garantieren, allein
leisten. Es können allerdings diese Operationen mit
Hilfe von Maschinen koordiniert und synchronisiert
werden, gleichsam zum Topos "Symphonie der
Großstadt". Ja, man muß zugestehen, daß nur mit
Hilfe der analogen und digitalen Maschinen -
Produktionsmaschinen, Telemaschinen,
Rechenmaschinen, usw. - diese Operationen überhaupt
möglich sind. Die Reichweite und die Beschleunigung
von Produktion, Kommunikation und Distribution, die
für die Städte notwendig sind, kann nur mit Hilfe
von Maschinen erfolgen. Dabei ist zwischen zwei
Arten von Maschinen zu unterscheiden: den
mechanischen, z.B. Auto, notwendig für den Transport
von Gütern, und digitalen, z.B. Computer, notwendig
für die Masse der Informationsverarbeitung. Den
elektronischen Maschinen kommt dabei ein e immer
größere, zentrale Bedeutung zu.
Das
Netzwerk von Computerterminals, Telefonen,
Telegrafen, Textsystemen, Satelliten-TVs usw., auf
dem unsere gesamte Kommunikation aufgebaut ist,
stellt gleichsam eine orbitale Hülle bzw. Skulptur
dar, ohne die unsere Zivilisation kollabieren würde,
vor allem die Städte. Durch die allgegenwärtige
Tele-Präsenz und globale Simultaneität, geschaffen
durch die Telemaschinen und computergestützten
Netzwerke, wird die Erde zu einem Herd, schrumpfen
Kontinente zu Keksen. Kontinente werden zu Möbeln im
Wohnzimmer Erde, Länder werden zu Tellern auf dem
Tisch der Städte. Das weltweite Computernetzwerk
Internet gibt es in 55 Ländern der Erde und es
benützen 20 Millionen Menschen. Alles was man
braucht, um diese Welt des elektronischen
Informationsaustausches zu betreten, ist ein PC, ein
Modem und eine Telefonleitung. Das Netsurfing im
Cyberspace, in der verborgenen Welt der
elektronischen Daten, geschieht nicht entlang einer
Linie zwischen zwei Punkten wie bei m
Kabelfernsehen, sondern von einem Ounkt gehen wie
beim Telefon Linien zu Millionen Punkten in der
Welt. Man ist eben Teil eines Netzes.
Wenn wir daran denken, wie sich die Kommunikation in
kommenden Jahrhunderten von der globalen zur
interstellaren Reichweite ausdehnt, bekommen wir
einen Begriff von der digitalen Datenautobahn. Eine
Vision dieser telekosmischen Kommunikation im
dritten Jahrtausend ohne Fensehen und Telefon in
ihrer heutigen Form, dafür mit Computer-Netzwerken
leifert George Gilder in seinem Buch "Microcosm"
(1989).
Wenn ohnehin alles nah wird, kann natürlich auch der
Raum nicht mehr als Entfernung gemessen werden. Dann
hat es wenig Sinn, vom Raum als Nähe und Ferne, als
Distanz zu sprechen, dann verlieren die räumlichen
Parameter ihren Sinn. Dann werden Tele (Ferne) und
Tron (das Suffix "tr(on)" bedeutet Steigerung,
Verstärkung) die neuen Parameter der Stadt. Tele und
Tron ersetzen als elektronische Parameter das Nah
und Fern der Städte. Sie sind die neuen, offenen,
permissiven, perforierten Grenzen.
Der
virtuelle Raum, der gelöschte Raum der
Telekommunikation, der heute die Stadt durchdringt,
kann am besten durch die Entwicklung des orbitalen
Blicks exemplifiziert werden.
Im
orbitalen Blick einer Satellitenkamera werden die
Dinge kleiner, schrumpft der Raum, werden die
natürlichen Skalierungen zerstört. Kontinete werden
zu Briefmarken, der Globus wird zu einem Punkt. Eine
Stadt schaut in der Luftaufnahme wie ein Mikrochip
aus, und ein Mikrochip leistet in der Tat viele
Operationen einer Stadtbevölkerung. Der Mikrochip
ersetzt die Stadt und ist die Stadt. The city as
chip, the chip as city.
Als
um 1900 die Wissenschaft des Urbanismus entstand,
wurde gleichzeitig eine Entdeckung gemacht, welche
die klassische Auffassung von Urbanismus als
materiale und administrative Ordnung von Raum und
Zeit, von Körper und Materie, bereits historisierte.
1897 entdeckte nämlich John Joseph Thomson bei
Experimenten mit Kathodenstrahlen in Vakuumröhren
(von Crookes) einen Körper, der kleiner als ein Atom
war. Dieser kleine Körper, ursprünglich von Thomson
eben Korpuskel (Corpus, lt. der Körper) genannt,
welcher die traditionelle Vorstellung von Materie
vernichtete, war ein negatives Teilchen der
Elektrizität und wurde daher später Elek-tron
genannt. Der Tron-Wald wurde gesät.
Der
Tron-Wald, bestehend aus Elektron, Pliotron,
Magnetron, Axiotron, Vapotron, Klystron, Zyklotron,
Kosmotron usw., welcher für den gesamten
Elektronikbereich, vom Haushalt bis zum Militär, von
Television bis Radar, die nötigen technischen
Voraussetzungen lieferte, wurde zum eigentlichen
Grund und Boden jeder Stadt. So wie die Materie
durch Atome durchlöchert war, so wurde die Stadt
durch elektronische und elektrische Medien
durchlöchert. Die Tron-City, der Tron-Urbanismus.
Die Stadt lebte nicht nur von Verstärker- und
Beschleunigerröhren, die Stadt wurde selbst zu einer
Beschleunigerröhre mit Supraleitfähigkeit. Aus
diesem Tron-Wald stammt auch das Arsenal der
"intelligent warfare", der intelligenten
Kriegsprodukte, von den Abhöranlagen bis zur
Satellitenüberwachung.
Die
Leitfähigkeit der Stadt nahm zu, als
Mikro-Elektronik und Miniaturisierung einsetzten.
Transistoren ersetzten Röhren und Silizium, der
grundlegende Halbleiter in Transistoren, wurde der
neue Grundriß, Blueprint der Städte. Städte sind nur
scheinbar auf Beton gebaut; viel wichtiger sind ihre
Fundamente aus Silizium. Ohne die Technik der
Transistoren, Halbleiter, Integrierten Schaltkreise
und Chips würden die Millionen von Operationen, die
eine Stadt ausmachen, nicht funktionieren und
existieren. Chip-Architektur ist das neue Modell und
die neue Skyline der Städte. Die intelligenten
Tron-Häuser, die auch mit Vehikeln und Maschinen der
Nanotechnologie arbeiten werden, liefern ebenfalls
Raumvorstellungen ohne den Menschen als Maß und
Modul (wie noch bei Le Corbusier).
In
Siliziumkristalle integrierte Schaltkreise, Chips
von der Größe von Millimetern (Bruchteilen von
Millimetern), enthalten mehrere tausend
Transistoren. Abertausende von solchen Chips bilden
die Bausteine, auf denen heute die Städte gebaut
sind und in Zukunft die Häuser. Elektronisch
gesteuerte und verwaltete Städte und von der Fassade
bis zur Garage, vom WC bis zur Küche elektronisch
gesteuerte Häuser, Tron-Häuser, bilden in Zukunft
ein Konglomerat, ein künstliches intelligentes
Ambiente. Computer und Fuzzy Logik helfen, diese
Konglomerate, diese telematischen Tron-Häuser und
Tron-Städte zu steuern. Städte und Häuser vernetzen
sich immer mehr. Sie kommunizieren nicht mehr
global, sondern orbital. Ein Netzwerk von Satelliten
wird ein globales intelligentes Ambiente bilden, wie
orbital ausgelagerte Bibliotheken, Kinos, Shopping
Malls, Universitäten. Wer das Monopol auf diese
orbitalen Kanäle und Infonetze, auf diese
Datenautobahnen b esitzt, wird der Herrscher eines
ungeheuren digitalen Imperiums sein.
Die
Information wird bloß der Quickwert der digitalen
Tron-Trusts.
Die
beschleunigte Stadt, gebaut aus Siliziumkristallen,
besteht aus realen und virtuellen Räumen. Die
elektrischen Leitungen, die elektromagnetischen
Wellen und die digitalen Netzwerke durchlöchern jede
Stadt. Die virtuellen Räume der elektronischen
Maschinen durchlöchern die materiellen realen Räume
der Stadt. In jeder Stadt existiert eine virtuelle
Stadt, ein urbaner digitaler Schatten. Dieses neue
immaterielle Netzwerk ersetzt die Kanalisation als
Wohnort. Die Kommunikation über dieses Schattenwerk
ersetzt die Kommunikation über die Straße und die
Plätze. Gerade diese elektronischen virtuellen Räume
der Städte, wo imaginäre Reisen und symbolische
Kommunikation möglich sind, sind die eigentlich
urbanen Räume geworden, die eigentlichen Piazzas.
CafÇ-Häuser werden zu Electronic CafÇs, wo Public
Access Terminals (Tische mit eingebauten
Computerterminals) Zugang zum digitalen vernetzten
Schattenreich der Städte bilden: die Online- Worlds.
Die Nachbarn leben nicht mehr lokal nebenan (neben
der Wohnung, neben dem Haus), sondern leben
irgendwo, aber sind nichtlokale Netz-Nachbarn. Die
Gesprächspartner sitzen nicht mehr am gleichen Tisch
im Kaffehaus, sondern irgendwo in der Welt, aber im
Netz. Die digitalen Netzwelten bilden den
eigentlichen telematischen Raum, bilden den neuen
Urbanismus. Das Leben im Netz und in den
Online-Welten wird das Leben in Discos, Restaurants
etc. ergänzen. Knotenpunkte im Netz,
Relais-Stationen der Kommunikation, sind die neuen
Funktionen von Städen, Häusern, Wohnungen. Denn wir
wohnen nicht mehr allein in Straßen, sondern auch in
Kabelkanälen und Telegraphendrähten, in Faxmaschinen
und im globalen Internet. Ob private oder
kommerzielle Kommunikation, über unzählige
Telefonleitungen, Fax- und Funk-Verbindungen und
elektronische Netzwerke jeden Augenblick weltweit
hundertmillionenfach ausgeübt, bildet dieser
Datenverkehr die neue politische Organisationsform
de r Stadt. Diese neue Politik ohne Polis, d.h. neue
soziale Organisation des Zusammenlebens ohne die
traditionellen Formen und Grenzen der Stadt, stellt
die Demokratie vor neue Aufgaben. Denn die neuen
Herrscher sind die Beherrscher der Netzwerke. Die
Maut, welche die Herren der elektronischen
Datenautobahnen pro Minute verlangen werden, wird
ungeheuerlich sein, verglichen mit den Abgaben bei
den Asphalt-Autobahnen. Hitch-Hiken im Datenraum
wird schwer sein. Die Herrscher des digitalen
Netz-Imperiums sind die künftigen Straßenräuber der
Daten-Autobahnen, Hi-jacker der Communication
Highways.
VI Technologie - Sprache der Absenz
Aus
einer gemeinsamen Wurzel, nämlich aus der Erfahrung
des Mangels und aus der Sehnsucht nach der
symbolischen Überwindung der Absenz, haben sich
Sprache und Technologie entwickelt. Als "Sprache der
Absenz" (S. Freud) setzt die Technik die Arbeit der
Schrift fort. In der technischen Bildsprache, in der
Polytropik der Elektronik-Kultur, die von der
künstlichen Intelligenz zu den künstlichen Bildern
reicht, kulminiert die Komplexität einer
audiovisuellen Sprache, die der Komplexität der
Techno-Gesellschaft angemessen ist. Die Erfindung
der Schrift vor zirka 5000 Jahren war die erste
Kommunikationsrevolution, weil hier erstmals die
direkte lokale Kommunikation zwischen Personen, die
isochron und isotop, also in der gleichen Zeit am
gleichen Ort lebten, verlassen wurde, die bis dahin
einzige Möglichkeit der Kommunikation war. Die
Erfindung des Buchdrucks stellt die zweite
Kommunikationsrevolution dar. Massenkommunikation
wurde möglich. Das lokale Universum der Kommunikati
on wurde auf indexikalischer Ebene, z.B.
Rauchzeichen, Trommelgeräusche, aber frühzeitig
durchbrochen. Die Medien haben aber durch ihre fast
universelle Perforation des Raumes mittels
elektromagnetischer Wellen (1887) eine Vielzahl von
lokalen Universen insgesamt in ein Universum der
Non-Lokalität transformiert, wo virtuell alles
passieren kann. Dislokationen, Translokalisationen,
Verzerrungen und Überwindungen von Raum und Zeit,
wurden mit der Fähigkeit zur Symbolisation erstmals
erreicht. Mit elektronischer Geschwindigkeit
reisende Zeichen schaffen neue spatio-temporale
Arrangements, wo die Zeit den Raum disloziert und
einen ortlosen Raum schafft. Die Zeichen der
dritten, der telematischen Kommunikationsrevolution
sind durch die Trennung von (materieller) Bote und
(immaterieller) Botschaft immaterieller und
körperloser als die vorangehenden. Körperlose
Kommunikation und Maschinenkommunikation wurde
möglich. Dadurch werden die Grenzen von Raum und
Zeit komprimiert ode r expandiert.
Werkzeug-Technologie ist der Schlüssel zur
mechanischen Evolution. Wir brauchen die Technologie
zum Überleben: je gedrängter der Raum und je größer
die Bevölkerung wird, desto notwendiger wird die
Überlagerung und Simulation von Räumen, Zeiten und
Körpern, damit eben mehrere Objekte und Subjekte an
einem Ort gleichzeitig anwesend sein können. Die
Technologie muß sich deshalb zur Tele-Technologie
weiterentwickeln, die Werkzeuge zu Teleoperatoren
und Telefaktoren, die Gesellschaft zur
tele-technotronischen Zivilisation. Ebenso müssen
sich die Werkzeuge der Kunst weiterentwickeln, will
sie zu den Überlebensstrategien gehören.
Der
Vorstellung, daß Maschinen denken können, das heißt
eigenständig Symbole verarbeiten und ihnen Sinn
stiften können, was bisher als Privileg des Menschen
galt, sind wir näher gerückt denn je. Turings
universale Rechenmaschine, auf den binären Symbolen
0 und 1 aufgebaut, die durch Nicht-Strom und Strom
in Schaltkreisen gemäß der Algebra von George Boole
abgebildet werden, ist in der Tat mit einem lebenden
Organismus zu vergleichen, wenn selbständige
Symbolverarbeitung zum Begriff des lebenden
Organismus gehört. Selbständige Symbole sind in der
Tat eine Sensation der Kulturgeschichte. Nicht mehr
der Mensch malt Tiere oder Menschen an die Wände,
sondern Maschinen malen selbständig Zeichen. Die
Werkzeuge dienen nicht mehr dazu, den Willen des
Menschen auszuführen und Zeichen zu materialisieren,
zu realisieren, sondern die Werkzeuge setzen selbst
Zeichen, und das Reich der Zeichen setzt selbst die
Realität. Symbolverarbeite nde Maschinen wie der
Computer haben die Zeichen zu autonomen Agenten
gemacht. Die Maschinen bilden neue selbständige
Modelle der Welt und der Werkzeuge. Die Kunst der
Medien zeigt uns diesen neuen Abschnitt der
autonomen symbolverarbeitenden Maschine. Die
Werkzeugkultur ist in eine neue Phase getreten, in
die Eigenwelt der Apparatewelt.
Werkzeuge sind nicht vor der Sprache entstanden und
die Sprache nicht vor den Werkzeugen. Sondern die
Sprache und die Werkzeuge haben eine gemeinsame
Ursache: die menschliche Fähigkeit zur Symbolisation.
Aus dieser gemeinsamen Wurzel haben sich die Sprache
und die Technologie entwickelt. Insofern ist
Werkzeugtechnologie, insbesondere jene Werkzeuge,
die selbständig Symbole verarbeiten können wie die
intelligenten Maschinen, der Schlüssel zur
menschlichen Evolution. Werkzeugkultur ist immer
Symbolkultur gewesen. Ohne Symbole keine
Speichermöglichkeit, ohne Speicher bzw. Gedächtnis
keine Erfahrung. Die Schrift ist der erste Speicher,
der Computer vorläufig der letzte. Mit Hilfe der
Schrift konnten räumliche und zeitliche Distanzen
überbrückt werden. Entkörperlichte,
entmaterialisierte Information konnte in Raum und
Zeit herumgeschoben werden.
Im
elektromagnetischen Zeitalter (J.C.Maxwell, 1873)
reisen die Zeichen mit elektronischer
Geschwindigkeit frei und autonom. Die Zeichen der
dritten digitalen Kommunikationsrevolution sind vom
Menschen befreit und führen mit Hilfe der
Zeichen-Automaten ihr Eigenleben. Die Werkzeuge
haben sich emanzipiert und beginnen als
symbolverarbeitende Maschinen ein eigenständiges
Leben. Der Aufstieg der Werkzeuge zu
symbolverarbeitenden Maschinen beendet das (letzte)
Privileg und Monopol des Menschen.
VII Psycho-TechnÇ,
Prothesen-Zivilisation
Die
technische Überwindung von Raum und Zeit bedeutet im
Grunde auch Überwindung der Absenz. Die Medien
werden zu einem zweiten virtuellen Körper, der den
Menschen nie verläßt. Solange das Fernsehen läuft,
solange ein Telefon noch als zweiter Mund sprechen
kann, solange noch ein Foto Anwesenheit suggerieren
kann, solange kann der Mensch seine Angst bannen und
auch die verheerenden Folgen eines imaginären
Kastrationskomplexes. Die Technik hilft, den Mangel,
der durch die Absenz entsteht, symbolisch zu füllen
und psychisch zu überwinden. Der virtuelle Körper
der Medien, insbesondere der Tele-Medien bildet die
telematische virtuelle Stadt aus, deren Baustein die
elektromagnetischen Wellen oder Glasfaserkabel sind
und deren Straßen und Plätze die Online-Netzwerke.
Alle Technik ist Tele-Technologie und dient der
Überwindung räumlicher und zeitlicher Ferne. Die
Überwindung von Distanz und Zeit ist aber nur ein
phänomenologischer Aspekt der (Tele-)Medien. Der
eigentliche Effekt der Medien liegt aber darin, die
durch räumliche und zeitliche Ferne, durch alle
Formen der Abwesenheit, des Fortseins, des
Fernseins, des Verschwindens, des Abbrechens, des
Entgehens, des Verlierens, des Entzugs, des Verlusts
hervorgerufenen seelischen Störungen, Ängste,
Kontroll-Mechanismen, Kastrationskomplexe usw. zu
vermeiden, d.h. in der Überwindung (der Formen) der
Ferne auch die von ihnen verursachten psychischen
Störungen zu überwinden. Die technischen Medien,
indem sie eben den negativen Horizont der
Abwesenheit überwinden, abschliessen, werden zu
Techniken der Sorge und der Anwesenheit. Indem sie
das Abwesende imaginieren, symbolisch anwesend
machen, verwandeln die Medien auch die schädlichen
Folgen dieser Abwesenheit in lustvo lle Symptome. Im
Überwinden von Distanz und Dauer, von Raum und Zeit,
überwinden die Medien auch die Schrecken, welche
diese auf die Psyche ausüben, die seelischen Defekte
und Defizite der Absenz und des Mangels.
Alle Technologie ist daher auch Therapie-
undProthesen-Technologie. Als Extension des Leibes
(McLuhan) oder als Extinktion des Leibes (Baudrillard)
handelt es sich bei Technologie stets um künstliche
Organe, welche vom Gefängnis von Raum und Zeit
befreien helfen. Die technischen Prothesen, die
künstlichen Organe, steigern unzureichend vorhandene
Fähigkeiten (wie Rechengenauigkeit oder Reichweite
der Stimme: Computer/Telefon) oder ersetzen nicht
vorhandene Fähigkeiten (vom Rollstuhl bis zum
Hörgerät). Diese technischen Prothesen werden durch
die künstliche Intelligenz des Computers immer
vollkommener. Der Behinderte, der seit langem mit
Hilfe von technischen Prothesen lebt, die seine
fehlenden Funktionen ersetzen und ausgleichen, wird
zu einer Modellfigur, die neues Licht auf das Ziel
der technischen Zivilisation wirft. Wir sitzen
angeschnallt im Rollstuhl, weil uns die Beine
fehlen. Das fällt auf. Wir sitzen aber auch
angeschnallt im Auto, weil unsere Beine nicht
schnell genug sind. Wir sitzen angeschnallt im
Flugzeug, weil wir keine Flügel haben. Wir sitzen
angeschnallt im Boot, weil wir keine Flossen haben.
Das fällt weniger auf, weil wir uns an unsere
"natürlichen" Behinderungen gewöhnt haben. Aber aus
Unbehagen und Unzufriedenheit haben wir Werkzeuge
und Technologien entwickelt, um diese Behinderungen
zu überwinden. Intelligente Produkte, intelligente
Ambiente, intelligente Städte, die gesamte
Technologie-Evolution zeigen, daß wir stets
Behinderte sind, ohne es zu wissen.
Hegels Traum scheint sich zu erfüllen. Doch die
intelligenten Wesen sind nicht wir Menschen, sondern
Produkte von uns: künstliche intelligente Wesen.
Auch das intelligente Universum ist nicht das, in
dem wir leben, sondern wir schaffen es erst. |